Nikita Kryvtsov ist 15 Jahre alt und entfloh dem Krieg in der Ukraine. Er ist ein großes Fußballtalent und fand in Deutschland nicht nur Sicherheit, sondern auch einen neuen Club. Der Mittelfeldspieler schaffte es in den Kader der U17 des 1. FC Köln. Ein Fußballmärchen inmitten furchtbarer Tragödien eines schrecklichen Krieges.
Wenn Hubschrauber oder Flugzeuge über den Trainingsplatz am Geißbockheim fliegen, zuckt Nikita Kryvtsov manchmal noch zusammen. Zu nah sind die Erinnerungen an den Krieg. Der 15-jährige Nachwuchsfußballer stammt aus Charkiw in der Ukraine und hat in den vergangenen Monaten viel Schlimmes erlebt. Nikita ist geflüchtet, aus der Ukraine – weg vom Krieg. „Am 24. Februar war ich mit meinen Mannschaftskollegen im Internat in Donezk. Wir wurden vom Geräusch explodierender Granaten geweckt, wir konnten nicht richtig glauben, dass der Krieg begonnen hatte“, schildert Nikita den Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. „Als alle Jungs in Panik gerieten, wurde es sehr beängstigend. Die nächsten Wochen verbrachten wir im Luftschutzbunker von Schachtars Fußballakademie. Der Verein hat uns Spielern geholfen, dass wir fliehen konnten. Dafür bin ich allen sehr dankbar.“ Nikita gelang gemeinsam mit seiner Mutter die Flucht – über Kroatien nach Deutschland, glücklicherweise unversehrt.
Über 2.000 Kilometer entfernt, in Refrath bei Köln, war Familienvater Jörg Weber, wie so viele Menschen, erschüttert über die Ereignisse in der Ukraine. Der 46-Jährige entschied sich gemeinsam mit seiner Frau, zu helfen und Geflüchtete im gemeinsamen Haus aufzunehmen. Die Webers sorgten sich rührend um Nikita und Inna. „Wir wollten einfach helfen“, sagt Jörg Weber. „Uns war klar, dass jeder ohne eigene Schuld in eine Notlage kommen kann und dankbar wäre, wenn man Unterstützung erhält.“ Nikita und seine Mutter waren ab diesem Zeitpunkt endlich in Sicherheit, aber der Rest ihrer Familie und ihre Verwandtschaft waren noch in der Ukraine. Inna gelang es, ihre kleine Tochter, ihre Mutter und ihre Schwägerin mitsamt Tochter nach Deutschland zu holen. Ihr Mann, Nikitas Vater, musste in der Ukraine bleiben und durfte nicht ausreisen. „Ich habe meinen Papa seit Januar nicht mehr gesehen“, sagt Nikita. „Jeden Morgen rufen wir ihn zu Hause an, um zu überprüfen, ob er noch am Leben ist.“
Kontakt auf der Mitgliederehrung
Nikita und seine Familie erzählten den Webers von ihrem Leben vor dem Krieg und was plötzlich alles zerstört wurde. In seiner Heimat galt Nikita als großes Fußballtalent. Er spielte bei Schachtar Donezk – bis zu dem Zeitpunkt, an dem Fußball in seinem Land keine Rolle mehr spielte, und nur noch das Überleben und die Flucht zählte. Als Jörg Weber von Nikitas Talent erfuhr, kontaktierte er Marcus Strobel, einen Freund, der lebenslanges FC-Mitglied ist und berichtete ihm von Nikitas Fähigkeiten und Fußballbegeisterung. Strobel suchte bei der anstehenden Mitgliederehrung Kontakt zum 1. FC Köln und sprach Julia Nehren an, die Teamleiterin Mitgliedergewinnung. Julia Nehren handelte verantwortungsbewusst: „Ich konnte im ersten Moment gar nicht abschätzen, ob es sich bei Nikita um ein großes Talent handelt, aber wir haben ja gute Mitarbeiter, die das beurteilen können, deshalb habe ich seine Anfrage an unser Nachwuchsleitungszentrum weitergeleitet.“
Martin Bülles ist Scoutingleiter im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Köln, er nahm sich der Sache an und lud Nikita zum Probetraining ans Geißbockheim ein: „Man hat direkt gesehen, dass Nikita ein Fußballjuwel ist. Außerdem wollten wir Nikita und seine Familie in dieser schweren Zeit auch neben dem Platz unterstützen.“ Familie Weber half bei der Suche nach einer größeren Wohnung, der FC organisierte über Beate Weisbarth, Leiterin der GeißbockAkademie, einen Schulplatz für Nikita und spendete über die FC-Stiftung Möbel und Einrichtungsgegenstände. Alle packten gemeinsam mit an. Die FC-Stiftung leitete gemeinsam mit Familie Weber und dem FC-Nachwuchsleistungszentrum alles in die Wege geleitet, um Nikitas Karriere als Fußballer auch neben dem Fußballplatz bestmöglich zu fördern. Die Wohnung wurde mit bequemen Betten, Schulschreibtisch und allen weiteren benötigten Möbeln und Utensilien ausgestattet. Die FC-Gremien wurden eingebunden, um eine Tätigkeit für Sie zu finden, die zu Nikitas Mutter und ihren Fähigkeiten als Reiseverkehrsfachfrau passt. Lionel Souque, Vorstandsvorsitzender REWE-Group, bot schließlich einen Job bei DER Touristik, bei der Nikitas Mutter nun einer geregelten Tätigkeit nachgeht.
Nikita erhielt die Spielberechtigung des DFB und wurde Spieler im Kader der U17 des 1. FC Köln. „Ich bin so beeindruckt von der Gastfreundschaft hier, der Umgang zwischen Trainern und Spielern ist sehr freundschaftlich und herzlich. Ich bin dankbar, dass ich hier sein darf“, sagt Nikita. „Das individuelle Niveau der Spieler ist sehr hoch. Ich muss mich aber noch an den anderen Spielstil gewöhnen, in Deutschland wird defensiv geordneter gespielt mit viel Powerplay und Einsatz im Spiel gegen den Ball.“
Der FC tritt in der B-Junioren Bundesliga West an. U17-Trainer in dieser Saison ist Manuel Hartmann: „Nikita ist ein trickreicher Mittelfeldspieler mit einem starken linken Fuß, einer guten Übersicht und einem hervorragenden Torabschluss. Er versprüht viel Spielfreude am Ball und ist ein sehr aufgeweckter Kerl, der uns guttut. An die Intensität in der U17-Bundesliga muss er sich noch gewöhnen, aber das wird er. Es ist wunderbar, ihn bei uns zu haben.“
Kein Platz für Krieg
Der Fußball ist für Nikita auch Ablenkung von den fürchterlichen Geschehnissen des Krieges, der in seiner Heimat tobt. Der 1. FC Köln hat sich schon vielfach gegen den Krieg positioniert und leistet durch seine Stiftung wichtige Hilfe. Ein Krieg, der nicht zur Normalität werden darf und stattdessen schnell beendet werden muss. „Ich mache mir immer noch Sorgen um Freunde und Verwandte in der Ukraine“, sagt Nikita. „Ich finde, dass Krieg in einer zivilisierten und modernen Welt keinen Platz haben darf.“
In der Mannschaft ist Nikita mittlerweile nicht mehr der einzige Nachwuchsspieler aus der Ukraine. Nazar Mykhailenko flüchtete ebenfalls aus der Ukraine. Der 15-Jährige ist Abwehrspieler und wurde im Nachwuchsbereich von Dynamo Kiew ausgebildet. Nazar floh zunächst nach Dresden und fand von dort schließlich seinen Weg nach Köln und zum FC. Nikita ist mit seinem Schicksal nicht alleine und findet durch Nazar Unterstützung in seinem Alltag: „Für mich ist es ein großes Glück, einen Mitspieler, aber vor allem einen Freund aus meiner Heimat in meiner Mannschaft zu haben. Ich lerne Deutsch, aber manchmal ist es wichtig, dass ich mich mit jemandem in meiner Muttersprache unterhalten kann. Nazar kannte ich bereits aus der Ukraine, wir haben einige Male mit unseren Teams gegeneinander gespielt.“

Martin Bülles ist froh, dass so viele Menschen in schwierigen Zeiten gerne helfen und die Rädchen beim FC so gut ineinandergreifen: „Die Geschichte von Nikita zeigt, wie eng und erfolgreich die einzelnen Abteilungen beim 1. FC Köln zusammenarbeiten und wie hilfsbereit alle Beteiligten sind. Ein großes Dankeschön an die Familie Weber, die in der Anfangszeit auch den Fahrdienst übernommen hat und Nikita und seine Familie jederzeit unterstützt hat. Dennoch sollte Nikitas Weg uns auch weiter die Augen dafür öffnen, wie furchtbar dieser Krieg ist.“
Viel zu vielen Menschen und auch Fußballern ist die Flucht aus den Kriegsgebieten nicht gelungen, ein ukrainisches Fußballmärchen wie bei Nikita gibt es nur sehr selten.
Wer die Ukraine-Hilfe der FC-Stiftung unterstützen möchte, findet hier weitere Informationen.
03.08.2022 Nachwuchs
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