Als Elfjähriger kam Lukas Sinkiewicz zum FC. Er blieb elf Jahre und wurde deutscher A-Nationalspieler. Nach vielen Verletzungen führte ihn sein Weg 2011 in den Pott. Beim VfL Bochum spielte er in der 2. Bundesliga und war kurzzeitig Praktikant. Im Gespräch blickt er auf seine Zeit als Profifußballer zurück, spricht über den traurigsten Moment seines Lebens – und die Kreisliga A.
Auf einem Ascheplatz in Quadrath-Ichendorf sticht ein zehnjähriger Rotschopf hervor. Er ist schlaksig, größer als die meisten in seinem Alter. Inmitten rötlicher, aufwirbelnder Staubwolken behält der Junge den Überblick. Grätschen auf dem harten Geläuf muss er nicht. Er antizipiert Pässe, ist schneller als seine Gegenspieler und gewinnt jedes Kopfballduell. Lukas Sinkiewicz spielt im Jahr 1996 in der D-Jugend seines Heimatvereins 1. FC Quadrath-Ichendorf. Dass er fußballerisch talentierter ist als die anderen Jungs, fällt auch Walter Ley auf, dessen Sohn an jenem Tag gegen Sinkiewicz spielt. Ley, der fast zwei Jahrzehnte für den Fußball-Verband Mittelrhein tätig war, lädt den jungen „Sinke“ zur Osterferien-Aktion des 1. FC Köln namens „Bolzen für den FC“ ein.
„Ich habe wohl ganz ordentlich gespielt gegen seinen Sohnemann“, sagt Sinkiewicz, der im Ostercamp zu den Besten zählt. Als einer von drei Jungs wird er zum Probetraining beim FC eingeladen. Eine Art Déjà-vu. Denn ganz neu ist Sinke die Erfahrung eines Probetrainings am Geißbockheim nicht.
Mit vier Jahren kommt Sinkiewicz mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland. Sie wohnen zunächst in Rheinbach in der Nähe von Köln. Nach dem Umzug nach Bergheim trifft Sinke auf seinen Namensvetter und späteren FC-Mannschaftskollegen Lukas Podolski. Auf den Bolzplätzen der Stadt begegnen sie sich häufig. Mit seiner Gesamtschulmannschaft trifft Sinkiewicz des Öfteren auf das Schulteam von Poldi – und gewinnt laut eigener Aussage zumeist. „Heute halte ich auch noch ab und an Small Talk mit Poldi, aber die Wege haben sich weitgehend getrennt.“
Schwerer Schicksalsschlag und ein Schwur
Innig ist das Verhältnis vor allem zwischen den Vätern. „Mein Vater und Waldemar Podolski waren beste Freunde. Jeden Tag
ein Bierchen trinken, Käffchen trinken und quatschen. Die beiden haben sich sehr gut verstanden“, erzählt Sinkiewicz, der als Achtjähriger schon einmal an einem FC-Probetraining teilnimmt. „Ich war ja immer schon recht groß. Da meinten die Trainer, dass ich ja ins Tor gehen könne.“ Doch Vater Zdzislaw Sinkiewicz gefällt das gar nicht. „Er hat direkt abgewunken und zu mir gesagt: ,Komm, wir gehen nach Hause.‘“
Anders verläuft es zwei Jahre später. Sinke darf sich beim FC als Feldspieler präsentieren, überzeugt und wechselt. „Ich hatte eine coole Zeit beim FC. Wir hatten eine super Mannschaft, mit vielen bin ich bis heute befreundet“, sagt Sinkiewicz, der im Jahr 2002 einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen muss. Im Alter von nur 38 Jahren stirbt sein Vater nach einem Zusammenbruch beim Joggen. „Der schlimmste Moment in meinem Leben. Ein tiefer Schmerz“, sagt er. „Für mich stand nach dem Tod meines Vaters das Leben still. Ich selbst bin für einen Moment stehen geblieben, aber um mich herum ging alles rasant weiter. Das Leben macht eben keinen Halt.“
Unter anderem Familie Podolski unterstützt Sinke und dessen Mutter und Bruder nach dem tragischen Tod. „Meine Mama hat immer noch Kontakt zu Poldis Eltern. Allen Leuten, die damals für uns da waren, bleibe ich mein Leben lang dankbar.“ Und auch der Fußball bewahrt Sinkiewicz davor, in ein tiefes Loch zu fallen. „Nach Papas Tod habe ich mir geschworen, dass ich Fußballprofi werde. Und ich habe es geschafft.“

Debüt für die deutsche A-Nationalmannschaft
Am 29. Spieltag der Bundesliga-Saison 2003/04 beruft FC-Cheftrainer Marcel Koller den 18-jährigen Sinkiewicz erstmals in den Kader. Zum Einsatz kommt er bei der Heimniederlage gegen den VfL Bochum nicht. „Abends bin ich traurig nach Hause gekommen. Meine Mutter hat gefragt: ,Lukas, was ist?‘ Ich habe gesagt: ,Mama, ich habe nicht gespielt, aber nächste Woche bestimmt.“ Wie prognostiziert macht er gegen den Hamburger SV sein erstes Bundesliga-Spiel. Auch in den Partien danach steht er in der Startelf. Den Abstieg als Tabellenletzter kann er aber auch nicht verhindern.
In der 2. Bundesliga läuft der Start unter dem neuen Trainer Huub Stevens holprig. Nach einem torlosen Remis gegen Cottbus zum Auftakt verliert der FC bei Wacker Burghausen mit 2:4. „Als wir zurück am Geißbockheim waren, hat uns Huub noch auf dem Ascheplatz laufen lassen. Wir mussten alle Trainingsmaterialien aus den Schränken räumen, zum Platz schleppen und durften abends noch schön Meter machen.“ Die erzieherische Maßnahme sollte wirken. Als Tabellenerster steigt der FC direkt wieder auf. Sinkiewicz als unangefochtener Stammspieler trägt maßgeblich dazu bei.
„Falsches Stellungsspiel ist ihm unbekannt, Passwege des Gegners werden antizipiert, Räume schon bei ihrem Entstehen geschlossen, und das Kopfballduell, das Lukas Sinkiewicz verliert, muss noch erfunden werden“, lobt der damalige FC-Präsident Wolfgang Overath im Kölner Stadt-Anzeiger. Auch Bundestrainer Jürgen Klinsmann schätzt die Qualitäten des FC-Eigengewächses und nominiert ihn für die deutsche A-Nationalmannschaft. Am 3. September 2005 feiert Sinke gegen die Slowakei sein Debüt. Dass Sinkiewicz insgesamt nur drei Länderspiele bestreiten sollte, lag weniger an seinen Leistungen, sondern vielmehr an zahlreichen Verletzungen. „Hätte, wäre, wenn – solche Wörter nutze ich ungern. Es ist wie es ist. Ich bin stolz auf meine Karriere.“

„Beim zweiten Mal ging es ratzfatz“
Trotz starker Leistungen von Sinkiewicz führt der Weg für den FC im Sommer 2006 zurück in die 2. Bundesliga. Sinke aber reißt sich in der Sommerpause bei der U21-EM das vordere Kreuzband und erleidet einen Meniskusschaden. Die komplette Hinrunde fällt er aus, was FC-Trainer Christoph Daum aber nicht davon abhält, ihn in der Rückrunde zum Kapitän zu ernennen. Die Mission Wiederaufstieg verpasst der FC in der Zweitligasaison 2006/07 als Tabellenneunter deutlich.
Sinkiewicz wechselt auf die andere Rheinseite zu Bayer 04 Leverkusen. Kreuzbandrisse, Innenbandverletzungen und Syndesmosebandanrisse verfolgen ihn weiter. Nach drei Jahren in Leverkusen und einer Spielzeit beim FC Augsburg samt Bundesliga-Aufstieg unterschreibt er im Sommer 2011 einen Dreijahresvertrag beim VfL Bochum. Die Bochumer hatten erst wenige Wochen zuvor in der Relegation gegen Borussia Mönchengladbach den Bundesliga-Aufstieg knapp verpasst. „Ich dachte, mit Bochum steige ich innerhalb der nächsten drei Jahre bestimmt einmal auf. Leider haben wir drei Jahre gegen den Abstieg gespielt.“
Genossen hat er die drei Jahre im Ruhrgebiet dennoch. „Der VfL ist ein familiärer Club, ich hatte eine super Zeit in Bochum.“ Was ihn weiter beeinträchtigt, sind die Knieprobleme. Sinke beginnt in Bochum, sich intensiver Gedanken über die Zeit nach der Profikarriere zu machen. Um die Arbeitsabläufe kennenzulernen, absolviert er ein sechswöchiges Praktikum in der Geschäftsstelle des Vereins. „Ich habe in viele Abteilungen reingeschnuppert. Es war schön, auch die anderen Menschen im
Club besser kennenzulernen.“ Und auch ins Schwitzen kommt er einmal. „Ich wollte den Fanshop-Anhänger rückwärts einparken, einige Fans haben dabei zugeschaut. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich das Ding da sauber reingefahren hatte. Aber ich habe nicht aufgegeben und es geschafft. Beim zweiten Mal ging es dann ratzfatz.“ Was er noch aus dem Praktikum mitgenommen hat? „Bürojobs sind nichts für mich. Ich bin sehr hibbelig und muss in Bewegung sein.“
„Eine Hälfte reicht, um das Spiel zu drehen“
2014 unterschreibt Sinkiewicz noch für ein Jahr bei Jahn Regensburg, ehe er im Sommer 2015 als 29-Jähriger seine Karriere beendet. „Mein Knie war quasi durch. Es hat keinen Sinn mehr gemacht.“ Komplett hat Sinke mit dem Fußballspielen aber nicht aufgehört. Er spielt für den SV Lövenich/Widdersdorf in der Kreisliga A. „Solange es irgendwie geht, will ich auf dem Platz stehen. Ich kann nur eine Halbzeit spielen, sonst macht das Knie zu viele Tage Probleme. Eine Hälfte reicht mir, um das Spiel zu drehen“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Beruflich betreut er seit mittlerweile drei Jahren die U23 von Fortuna Düsseldorf als Co-Trainer. Für die Bundesliga-Saison drückt er dem FC die Daumen. „Ich hoffe, der FC hat nichts mit dem Abstieg zu tun. Der neue Trainer macht einen guten Eindruck. Für den VfL kann es nur um den Klassenerhalt gehen. Wichtig ist, dass beide Teams die schweren Phasen in der Saison mit Ruhe und den richtigen Entscheidungen überstehen.“
Die Vorfreude auf das Heimspiel steigt! Gegen Bochum sind 25.000 #effzeh-Fans im RheinEnergieSTADION. pic.twitter.com/M2VhHDTQaQ
— 1. FC Köln (@fckoeln) August 25, 2021
27.08.2021 Profis Erstellt von Thomas Floren
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