Auf Schalke hat sich Marco Höger als Derbyheld verewigt und trägt einen besonderen Namen. Mit dem 1. FC Köln qualifizierte er sich 2017 für den Europapokal, blieb seinem Herzensverein auch nach dem Abstieg treu – und stieg direkt wieder auf. Im Gespräch blickt der 31-Jährige auf seine Zeit in beiden Clubs zurück, erzählt von Fan-Huldigungen vor seiner Haustür – und spricht über seinen auslaufenden Vertrag im Sommer und Pläne für die Zukunft.
Es beginnt mit einem schönen Steilpass aus der eigenen Hälfte von Lewis Holtby, direkt in den Lauf von Marco Höger. Mit großen, schnellen Schritten strebt der Mittelfeldspieler alleine auf Roman Weidenfeller zu. Über das halbe Feld sprintet er, 40 Meter, geradewegs zu auf achttausend königsblau gekleidete Menschen. Mit jedem Schritt, den Höger näher auf sie zukommt, hibbeln die mitgereisten Schalke-Fans schneller mit den Beinen. Dann unterbricht Starrheit für einen kurzen Moment das unruhige Gezappel. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, ehe Höger den Ball aus 18 Metern und vollem Lauf mit der rechten Innenseite ins Tor schießt. Aus allen Schalkern bricht es heraus. Die Tribüne wackelt. Auf der Anzeigetafel erscheint der neue Spielstand. 2:0. Für Schalke. Gegen Dortmund. In Dortmund. Im ausverkauften Signal-Iduna-Park.
Es ist der 20. Oktober 2012. Tag des Revierderbys. Der FC Schalke besiegt Dortmund mit 2:1. Und Höger wird zum Derbyhelden. „Das war einer der emotionalsten Momente meiner Karriere. Diesen Tag werde ich nie vergessen“, sagt Höger, der seither auf Schalke den Namen „Derby-Höger“ trägt. „Dass ich mich durch dieses Tor in den Geschichtsbüchern eines so traditionsreichen Vereins verewigen konnte und von den Fans diesen Spitznamen bekommen habe, ist etwas sehr Schönes und macht mich stolz.“
Am Abend nach dem Spiel kommt Höger im Dunkeln überglücklich, aber auch erschöpft an seiner Wohnung in Buer an. Noch bevor er den Schlüssel ins Schloss steckt, stolpert er beinahe über Weinkartons und einen großen Stapel Fanpost. Vor seiner Tür hatten freudentrunkene Schalker unerwartet Huldigungen abgelegt. „Sogar ausgefüllte Lottoscheine waren dabei“, erzählt er lachend. Gewonnen hat Höger zwar nichts, „aber der Sieg war ja schon ein Sechser im Lotto.“

In einer Mannschaft mit Raúl
Kleiner Zeitsprung zurück: 14 Monate zuvor, im Sommer 2011, wechselt der damals 21-jährige Höger vom Zweitligisten Alemannia Aachen zum amtierenden DFB-Pokalsieger Schalke. „Das war etwas ganz anderes als in Aachen. Alles viel größer. Auf Schalke war ich erstmal ein unbeschriebenes Blatt. Ich musste mir alles von der Pike auf erarbeiten“, erinnert sich Höger, der plötzlich mit Spielern wie Klaas-Jan Huntelaar, Jefferson Farfán und Weltstar Raúl in einer Kabine sitzt. „Man kann sich vorstellen, dass Raúl oder Huntelaar nicht so viel zweite Liga und Alemannia Aachen geschaut haben. Ich musste also erstmal im Training auf mich aufmerksam machen.“
Und das gelingt. Höger findet sich schnell zurecht. In den ersten fünf Ligapartien der Saison 2011/12 spielt er viermal über die volle Distanz. Schalkes Trainer ist damals Ralf Rangnick. „Das kam mir zugute, weil er ein Faible für junge Spieler hat.“ Doch schon bald löst Rangnick seinen Vertrag wegen eines Burnout-Syndroms auf. Huub Stevens übernimmt. „Rangnick hat viel mit Videoanalysen und PowerPoint-Präsentationen gearbeitet, Huub war ein komplett anderer Schlag, ein Trainer alter Schule.“
Doch auch unter der dem erfahrenen Niederländer spielt Höger regelmäßig. Nicht immer auf seiner Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld, sondern zwischendurch auch als Rechtsverteidiger. „Als junger Spieler bist du einfach froh, wenn du möglichst viele Spiele machst, egal auf welcher Position. Erst recht in so einer guten Mannschaft.“
„Wir hatten eine geile Truppe“
Während seiner Zeit auf Schalke qualifiziert sich Höger mit den Königsblauen stets für den Europapokal, zweimal erreichen die Schalker das Champions-League-Achtelfinale. „Jeder Fan würde sich diese Jahre zurückwünschen, wenn man die aktuelle Schalker Situation sieht.“ Dabei herrschte auch während Högers Zeit auf Schalke häufig Unruhe rund um den Verein. „Wenn wir in einer Saison Dritter geworden sind, hieß es danach direkt, dass wir im kommenden Jahr die Bayern angreifen müssen. Die Erwartungshaltung war immer ein Stück zu hoch. Das war ein bisschen schade“, sagt Höger. „Trotzdem ist Schalke ein geiler Verein. Das muss man so sagen. Wir hatten immer einen Kader für die ersten vier Plätze. Das würde ich schon sagen. Aber wir hatten auch viele junge Spieler. Jule Draxler kam damals gerade aus der Jugend hoch, selbst Bene Höwedes, der schon Kapitän war, war erst Mitte zwanzig.“
Noch heute steht Höger mit vielen ehemaligen Mitspielern von damals regelmäßig in Kontakt. „Draxler, Kolasinac Matip. Wir alle sagen uns, dass wir die Jahre auf Schalke noch viel mehr hätten genießen müssen. Wir hatten eine geile Truppe. Mit guten Charakteren.“, sagt er. „Wenn damals Bremen oder Hamburg zu uns in die Arena gekommen sind, war eigentlich nur die Frage, ob wir 3:0, 4:1 oder 5:1 gewinnen.“ Höger sammelt während seiner Zeit auf Schalke viele schöne Erinnerungen, erleidet aber auch zwei Kreuzbandrisse. „Dass es mich zweimal getroffen hat, 2013 und 2015, ist bitter, aber gehört zum Berufsrisiko dazu.“ Nur fünf Pflichtspiele absolviert Höger in der Saison 2015/16 für Schalke. Es ist sein letztes Jahr als Schalker, die Königsblauen werden Sechster. Denn im Sommer 2016 wechselt er zu seinem Lieblingsverein aus Kindheitstagen.

„Köln stand eine Woche lang Kopf“
Von klein auf ging Höger mit seinem Vater regelmäßig zum Geißbockheim, um beim Training zuzuschauen. Sein Vorbild war Toni Polster. „Es war immer ein Traum von mir, für den FC zu spielen. Der Wechsel war für mich eine Herzensangelegenheit“, sagt er. „Ich hatte mich vor dem Wechsel natürlich viel umgehört und durchweg Positives berichtet bekommen. Ich wollte das unbedingt machen.“ Als Zeichen seiner Verbundenheit unterzeichnet er beim FC einen langfristigen Vertrag über fünf Jahre. „Dass es in meinem ersten Jahr direkt so eine überragende Saison war, mit diesem großen Zusammenhalt und dieser Zwischenmenschlichkeit, die geherrscht hat, war ein Traum.“
Als Führungsspieler hat Höger in der Saison 2016/17 maßgeblichen Anteil daran, dass der FC sich als Tabellenfünfter erstmals nach 25 Jahren wieder für den Europapokal qualifiziert. „Köln stand danach eine Woche lang Kopf. Ich als Kölner kann ja gut beurteilen, wie es ist, wenn die Stadt mal wirklich Kopf steht wegen des FC. Das kam ja leider selten genug vor in den vergangenen Jahrzehnten.“ Die wilde Sause nach dem 2:0-Sieg gegen Mainz am 34. Spieltag hat Höger noch bildlich vor Augen. „Das war ja wie eine Meisterfeier. Die Fans sind auf den Platz gelaufen, haben Rasenstücke herausgerissen haben und mit uns gesungen und gefeiert. Das war atemberaubend“, sagt er.
„Es hat einfach alles gepasst. Alles. Von Büro eins der Geschäftsstelle bis zum letzten Spieler bei uns. Nur deshalb haben wir das auch schaffen können“, sagt Höger. „Unsere Mannschaft war von der Qualität her gut, aber auf dem Papier war es sicherlich nicht so, dass es 13 schlechtere Teams in der Liga gab.“
Eines Sonntagvormittags, am Tag nach einem Ligaspiel, radeln Thomas Kessler und Marco Höger am Geißbockheim gemeinsam aus. Die beiden kommen ins Plaudern. „Wir haben uns gesagt, dass wir eigentlich alles dafür tun müssen, damit diese erfolgreiche Zeit bestehen bleibt. In der personellen Konstellation, wie sie damals war“, erinnert sich Höger an das Gespräch mit seinem Mannschaftkollegen und Freund. „Wir haben es auch versucht, aber leider ist es uns in der Folgesaison auch wegen vieler Langezeitverletzter nicht gelungen, das beizubehalten.“
Vertrag beim FC läuft im Sommer aus
Neben Höger fallen mit Jonas Hector und Dominic Maroh in der Saison 2017/18 wichtige Leistungsträger lange aus. Auf die Rückkehr nach Europa und Spiele in London und Belgrad folgt der bittere Abstieg in die 2. Bundesliga. „Klar kann man im Nachhinein spekulieren, ob der Abstieg nicht passiert wäre, wenn wir in der Vorsaison nur Neunter geworden wären und nicht die Dreifachbelastung gehabt hätten“, sagt Höger. „Das mit dem Abstieg war scheiße, aber ich denke zum Beispiel an den Sieg zu Hause gegen Arsenal. Wer will jetzt im Nachhinein missen, Fünfter geworden zu sein? An diese Saison werden sich die Fans doch noch in zwanzig Jahren erinnern. Und wer weiß: Vielleicht schafft es in 25 Jahren ja wieder eine FC-Mannschaft nach Europa.“
Trotz des Abstiegs und Angeboten anderer Vereine bekennt sich Höger im Sommer 2018 zum FC und geht mit dem Club in die zweite Liga. „Wir hatten es ja schließlich auch verbockt. Ich bin niemand, der sich einfach verpisst, wenn es mal nicht so läuft. Ich wollte das unbedingt wieder geradebiegen.“ Was auch gelingt. Am 32. Spieltag der Saison 2018/19 steht nach einem 4:0-Sieg bei Greuther Fürth der direkte Wiederaufstieg fest. „Klar, wie hatten eine sehr gute Mannschaft. Aber man sieht aktuell auch an ein paar anderen Beispielen, dass es in der 2. Bundesliga nicht so einfach ist, direkt wieder hochzugehen.“ Im Sommer 2021 läuft Högers Vertrag beim FC aus. Gerne würde er sich mit dem Klassenerhalt verabschieden. „Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen.“
Wohin es ihn ab Sommer zieht, weiß der Mittelfeldspieler noch nicht. „Ich sehe jeden Tag im Training, dass ich mithalten kann. Ich will auf jeden Fall weiterspielen. Aber wo, steht noch in den Sternen. Ich bin für vieles offen.“ An der IST hat Höger bereits das Fernstudium „Spielanalyse und Scouting“ erfolgreich abgeschlossen. Momentan absolviert er noch den Weiterbildungskurs im Bereich „Performance Analyse Fußball“. „Das ist eine Richtung, die mich sehr interessiert.“ Auch die Trainerscheine will Höger demnächst machen. „Ich möchte mir auf jeden Fall einige Türen öffnen. Mein Wunsch ist es, irgendwann beim FC etwas zu machen. Aber im Fußball ist nicht so weit im Voraus planbar, wann das vielleicht mal der Fall sein wird. Vielleicht mache ich auch den Pizarro und spiele noch sieben Jahre. Ich glaube es zwar nicht, aber man weiß ja nie.“
Alles geben im Endspiel. Gegen Schalke muss am Samstag ein Sieg her, um eine Chance auf den Verbleib in der Bundesliga zu haben. Ein gutes Omen gefällig? In der Saison 2014/15 sicherte sich der FC schon einmal den Klassenerhalt in einem Spiel gegen Schalke.
— 1. FC Köln (@fckoeln) May 20, 2021
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21.05.2021 Profis Erstellt von Thomas Floren
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