„Würde mich nicht über einen FC-Sieg freuen"
Michael Clemens hat im Nachwuchs 15 Jahre für den 1. FC Köln gespielt. Nach der U21 wechselte er zum 1. FC Kaiserslautern, musste im Jahr 2019 mit gerade einmal 23 Jahren aufgrund von Verletzungen allerdings aufhören. Dem Fußball ist er erhalten geblieben und inzwischen als Chefscout und Kaderplaner für Zweitliga-Aufsteiger SSV Ulm tätig. Am Samstag trifft der 28-Jährige mit den Ulmern im RheinEnergieSTADION auf seinen Jugend- und Herzensclub.
Michael, kribbelt es schon vor dem Duell am Samstag in Köln?
Michael Clemens: Was der FC für mich bedeutet, ist bekannt. Ich habe nicht nur 15 Jahre dort gespielt, sondern bin mit dem Verein groß geworden, habe viele Werte vermittelt bekommen. Deshalb ist es ein sehr besonderes Spiel und es kribbelt natürlich noch ein bisschen mehr als bei anderen Gegnern.
Schlagen bei diesem Spiel zwei Herzen in deiner Brust?
(lacht) So weit würde ich nicht gehen. Das Spiel ist für uns wichtig und wir fahren nach Köln, um dort zu punkten. Am Samstag würde ich mich nicht über einen FC-Sieg freuen. Bei allen anderen Spielen drücke ich dem FC natürlich die Daumen.
Die beiden Teams trennen vor dem Duell nur zwei Punkte. Was für eine Partie erwartest Du am Samstag?
Wenn man die bisherigen Spiele des FC sieht, ist gerade die offensive Power beeindruckend. Da haben sich das Trainerteam und die Mannschaft schnell gefunden und es gehen viele Ideen sehr gut auf. Für uns wird es darum gehen, dass wir unsere Stärken auf den Platz bringen. Wir werden uns dabei nicht vor dem eigenen Sechzehner verschanzen, sondern wollen unserem Weg treu bleiben. Dann schauen wir, was dabei herauskommt. Dass der FC in diesem Spiel der Favorit ist, ist aber kein Geheimnis.
Wie wirst Du das Spiel verfolgen?
Ich werde das Spiel so wie jedes andere auch auf der Tribüne verfolgen, das wird sehr besonders für mich sein.
Wie sieht denn Dein Aufgabenbereich beim SSV Ulm aktuell aus?
Wir haben hier nicht die Manpower wie in den großen Clubs, deshalb ist der Aufgabenbereich sehr breit gefächert. Das beginnt bei der Trainingsbeobachtung, um einen sehr genauen Eindruck von unserer Mannschaft zu haben. Darüber hinaus bin ich mit unserem Geschäftsführer Markus Thiele in einem engen Austausch und dann bereite ich bereits die Transferphase im Winter vor. Man hat gewisse Profile im Auge, um die Mannschaft noch einmal zu verstärken. Gleichzeitig wollen wir aber über Transfers im Winter keine Entwicklungen in unserer aktuellen Mannschaft verbauen. Denn Entwicklung steht bei uns ganz klar im Vordergrund. Deshalb müssen wir uns genau überlegen, was wir machen und was nicht.
Wer ist in diesen Prozess einbezogen?
Unser Geschäftsführer, der bei uns aber nicht nur den Sport, sondern den gesamten Verein verantwortet. Ich als Kaderplaner, der auch das Scouting verantwortet und aufbaut. Dazu das Trainerteam. Wir arbeiten in einem kleinen Team, was vielleicht auch die Vorzeichen für ein Spiel wie am Samstag ganz gut widerspiegelt. Wir stehen in den Strukturen noch ziemlich am Anfang. Dennoch sieht man eine schnelle Entwicklung in den vergangenen zwei, drei Jahren, die dazu geführt hat, dass wir uns nun mit Teams wie Köln, Hertha, Schalke oder Hamburg messen dürfen. Bei meinem ersten Heimspiel mit Ulm in der Regionalliga gegen den FSV Frankfurt waren 1.500 Fans im Stadion. Nun werden sogar deutlich mehr Leute mit zu einem Auswärtsspiel nach Köln reisen. Das zeigt die Entwicklung und Euphorie, die wir in der Stadt entfachen konnten.
Nach Auswärtsspielen in Regensburg, Paderborn und Elversberg wird es für Eure Mannschaft das Spiel dieser Saison mit der größten Kulisse. Glaubst du, Euer Team ist darauf vorbereitet?
Davon bin ich überzeugt. Letztendlich geht es für uns um die gleichen Aspekte wie in jedem anderen Spiel auch - nur eben vor einer anderen Kulisse. Vergangene Saison ist unser Team beispielsweise vor 30.000 Zuschauern in Dresden gut damit umgegangen und hat eine sehr gute Leistung gezeigt. So eine Kulisse kann einen Extraschub, eine extra Portion Motivation geben. Es ist für uns ein tolles Erlebnis, aber nichtsdestotrotz geht es in erster Linie um drei Punkte.
Hier können wir den Bogen zu Deinem Job spannen. Man kann Spieler heutzutage bis ins kleinste Detail analysieren. Aber der Faktor Mensch und Persönlichkeit, etwa wie jemand vor 50.000 Zuschauern agiert, kann man schwierig vorhersagen, richtig?
Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Scouting und Kaderplanung. Im Scouting bewerten wir die sportlichen Kriterien. In der Kaderplanung kommt dazu, dass man eine funktionierende Mannschaft mit den zusammenpassenden Charakteren formt. Dafür haben wir ein klares Wertesystem, mit dem wir arbeiten und auf das wir in den Kennenlerngesprächen mit den Spielern Wert legen. Aber klar, vor 50.000 Zuschauern haben bei uns noch nicht viele gespielt, das wird spannend sein zu beobachten.
Worauf achtest Du, wenn Du einen Spieler beobachtest?
Für uns ist wichtig, dass wir mit ganz klaren Ideen und Spielerprofilen auf die Suche gehen. Wir wissen genau, welche Attribute wir auf den jeweiligen Positionen benötigen. Darauf liegt dann auch der spezielle Fokus im Scouting. Man sieht sich Datenprofile an, sichtet Videos und scoutet live im Stadion.
Müsst ihr gerade als kleiner Verein im Wettbewerb mit den großen auf andere Sachen achten und kreativer sein?
Zu 100 Prozent. Wir suchen Spieler, in denen wir auch perspektivisch etwas sehen und die wir entwickeln können. Entwicklung ist wie gesagt ein wichtiges Schlagwort für uns, deshalb achten wir sehr auf Potenziale. Andere Vereine wie Köln, Schalke, Hertha oder der HSV haben finanziell noch einmal ganz andere Möglichkeiten. Wir stehen wahrscheinlich ganz hinten in der Budgettabelle, das erfordert eine gewisse Kreativität. Wir sind dabei davon überzeugt, dass wir mit einer klaren Spielphilosophie und klaren Spielerprofilen auf jeden Fall mithalten können.
Wie viele Spiele schaust Du dafür pro Jahr?
Im vergangenen Jahr waren es rund 150.
Hilft Dir Deine eigene fußballerische Vergangenheit bei der Bewertung von Spielern?
In gewissen Momenten hilft es sicher, wenn man selbst auf einem gewissen Level agiert hat. Aber das alleine bedeutet nicht, dass du auch ein gutes Auge für Talente hast. Hier ist es wichtig, mit einer klaren Idee zu arbeiten und danach die richtigen Spieler zu finden.
Was bedeutet es Dir, wenn eine Mannschaft, an der Du entsprechenden Anteil hast, so einen großen Erfolg wie den Aufstieg erreicht?
Wir waren vergangene Saison überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen und haben gehofft, eine sorgenfreie Saison zu spielen. Dass das dann eine solche Dynamik annimmt, kann man nicht planen. Es erfüllt einen natürlich mit Stolz, wenn einige Transfers so funktionieren, wie man es sich erhofft hatte. Es war eine Riesenleistung des Teams und des Trainerteams, ja des gesamten Vereins.
Du musstest früh deine Karriere beenden. Denkst Du noch oft daran oder gehst Du in der neuen Aufgabe im Fußball voll auf?
Ich habe in dem Job auf jeden Fall etwas gefunden, das mich erfüllt und mir richtig Spaß bereitet. Ich wollte das immer nach meiner aktiven Laufbahn machen - gerne hätte ich damit aber erst nach einer längeren Karriere begonnen. Dass ich so früh aufhören musste, war eine sehr schwere Phase für mich. Es kribbelt auch heute noch oft, wenn ich auf der Tribüne sitze. Das wird am Samstag extrem sein, weil es das Stadion ist, in dem ich selbst immer spielen wollte. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass im Leben alles aus einem Grund passiert, das ist ein Stück weit mein Lebensmotto. Die aktive Zeit ist abgehakt, die letzten drei Jahre waren sehr erfolgreich und ich freue mich auf alles, was die Zukunft bringt.