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Holocaust-Gedenken: Bewegender Besuch in Israel

26.1.2025

Morgen vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945, wurden die Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Allein im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden mehr als anderthalb Millionen Kinder, Frauen und Männer ermordet. Der Name Auschwitz steht heute unter anderem symbolisch für den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden sowie an den Roma und Sinti im Zweiten Weltkrieg.

Der 1. FC Köln zählt zu den zahlreichen Bundesliga-Vereinen, die sich seit Jahren für die Erinnerung an den Holocaust und gegen Antisemitismus engagieren – und dies aus traurigem Anlass nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und aufgrund des immer mehr aufkeimenden Judenhasses stärker denn je tun.

Antisemitismus und Diskriminierung haben beim FC keinen Platz. Der FC ist Unterzeichner der Charta der Vielfalt und war einer der ersten Unterzeichner der IHRA, der International Holocaust Remembrance Alliance. Es besteht ein vertrauliches Verhältnis zur Kölner Synagogen-Gemeinde mit ihrem Vorstand Abraham Lehrer. Die Bildungsarbeit findet vor allem in der FC-Stadionakademie (Lernort Stadion) statt. In Kooperation mit dem Kölner Fanprojekt und verschiedenen Organisationen wie whatmatters, Zweitzeugen und Zusammen1 werden über 50 Workshops und Bildungsfahrten jährlich durchgeführt.

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Als Dank für das Engagement und die Solidarität sind Vertretungen verschiedener Clubs aus der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Mitte des vergangenen Jahres auf Einladung des World Jewish Congress und der NGO what matters gemeinsam nach Israel gereist. Sie besuchten die Gedenkstätte Yad Vashem, nahmen am offiziellen Holocaust-Gedenktag teil und trafen in Jerusalem und Tel Aviv auf Holocaust-Überlebende sowie Überlebende und Angehörige von Opfern und Geiseln des Terroranschlags. Für den 1. FC Köln war Stiftungsmitarbeiter Thorsten Friedrich mit dabei. Im Interview berichtet er von seinen Eindrücken.

Thorsten, Du warst Anfang Mai mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Clubs in Israel. Wie prägend war diese Reise für Dich?

Es war sehr prägend und bewegt mich bis heute sehr. Vieles werde ich mein Leben lang in Erinnerung behalten. Bei dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel wurden mindestens 1200 Menschen getötet, mehr als 200 als Geiseln genommen. Fast jeder Israeli kennt Opfer oder Angehörige. Das Leid und die gemeinsame Botschaft zur Freilassung der Geiseln – „Bring them home now!“ – ist überall sicht- und spürbar. Viele Menschen tragen offen ihre Waffen zur Verteidigung. Überall sind Soldatinnen und Soldaten und haben alles im Blick.

Was hat Dich besonders berührt?

Die Gespräche mit Angehörigen und Überlebenden des Terroranschlags und mit Zeitzeugen des Holocausts sind mir extrem nahe gegangen und werden mich für immer begleiten. Eine Erkenntnis, die ich gleich zu Beginn gerne festhalten würde: Wir sind auf der Reise vielen Menschen begegnet, die unvorstellbar Schreckliches erlebt haben. Aber nie haben wir Hass oder den Wunsch nach Vergeltung gespürt. Sie alle wollen Aufmerksamkeit für Schicksale, damit diese nicht in Vergessenheit geraten, und für ein friedliches Miteinander ohne Leid und Krieg.

Was waren die ersten Eindrücke, nachdem Ihr in Israel gelandet seid?

Unsere erste Station war das Haus der Geiseln. Ein Begegnungsort für Überlebende und Angehörige von Opfern und Geiseln sowie ehrenamtlich Helfenden. Wir haben dort Eltern, Geschwister und andere Verwandte von Menschen getroffen, die getötet wurden oder die sich noch in Geiselhaft befinden. Manche wissen bis heute nicht, ob ihre Familienmitglieder noch am Leben sind.

Wie hast Du die Menschen wahrgenommen?

Es sind Menschen wie du und ich. Die überfallenen Kibbuzim (Gemeinschaften, Anm. d. Red.) sind Dörfer, in denen die Menschen über Jahrzehnte etwas aufgebaut haben. Sie leben modern, gehen zur Schule, studieren oder arbeiten in denselben Berufen wie wir. Eine Frau hat davon erzählt, dass sie ihren Neffen aus den USA zu Besuch hatte. Sie überredete ihn, dass er noch ein bisschen bleibt. Dann wurde er entführt. Sein Schicksal ist ungewiss. Eine von vielen belastenden Geschichten. Es war sehr bewegend, sich mit den Menschen auszutauschen. Tränenreiche Momente, die einen erden.

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Wie gehen die Menschen mit der Situation um?

Es gibt Proteste gegen die Regierung. Sehr viele Betroffene kritisieren den Umgang mit der Situation. Das Ziel ist, dass alles dafür getan wird, die Geiseln freizubekommen. Jeden Freitag treffen sich Betroffene und Unterstützende auf dem Hostage Square, dem Platz der Geiseln. Dort stehen Mahnmale zur Erinnerung und Zelte, die verschiedene Orte des Massakers repräsentieren. Auf dem Platz und in den Zelten hängen Fotos der Geiseln. An die Fotos sind verschiedenfarbige Schleifen geheftet. Gelb bedeutet, die Person wurde befreit, schwarz bedeutet, die Person ist tot. Und dann gibt es Bilder ohne Schleife, von denen man nicht weiß, ob sie noch leben. Dazu gibt es ein weiteres eindrucksvolles Bild.

Erzähl gerne davon.

Es gibt einen langen Tisch, an dem Platz für alle Geiseln ist. Für jede gerettete Person wird der Tisch frisch gedeckt. Der Rest des Tisches ist dreckig und verstaubt.

Was habt Ihr an den nächsten Tagen erlebt?

In Tel Aviv trafen wir das Ehepaar Ayelet und Ori Epstein. Sie haben beim Terroranschlag am 7. Oktober ihren 22-jährigen Sohn Neta und vier weitere Familienmitglieder verloren. In ihrem Kibbuz wurden an einem Tag über 50 Menschen von den Terroristen der Hamas ermordet. Neta warf sich auf eine Handgranate, um das Leben seiner Verlobten Irene zu retten. Sie lag dabei wenige Meter neben ihm und musste dort noch unzählige Stunden ausharren. Im April hätten sie geheiratet.

Gab es weitere solcher Begegnungen?

Getroffen haben wir auch Dean Tessler. Der 22-Jährige hatte einen Job beim Supernova-Festival in Re’im. Dort feierten hauptsächlich junge Menschen glücklich und ausgelassen bis zum Beginn des Terroranschlags, der für viele den Tod bedeutete. Dean konnte sich acht Stunden hinter einem Kaktus verstecken und überlebte, während um ihn herum Menschen aus ihren Verstecken gelockt und getötet wurden. Dabei haben ihre Mörder gelacht. Sein Kumpel Bar wurde von der Hamas als Geisel genommen. Seitdem gab es von ihm kein Lebenszeichen mehr, aber Dean gibt die Hoffnung nicht auf. Zudem durften wir am offiziellen Holocaust-­Gedenktag Israels an der Zeremonie in der Gedenkstätte Yad Vashem teilnehmen.

Welche Eindrücke von dort sind bei Dir hängengeblieben?

Dort wurden die Lebensgeschichten von sechs Holocaust-Zeitzeugen und -zeuginnen mit Videos präsentiert. Danach haben sie sechs Fackeln angezündet. Jede Fackel steht dabei für rund eine Million ermordeter Juden. Sechs Millionen Menschen. Eine unvorstellbare Zahl. Dies war circa ein Drittel der jüdischen Weltbevölkerung. Fast acht Jahrzehnte nach Ende des zweiten Weltkriegs hat sich die jüdische Weltbevölkerung immer noch nicht vollständig von den Verlusten des Holocausts erholt. Das sprengt meine Vorstellungskraft.

Habt Ihr Euch vor Ort immer sicher gefühlt?

Mein Empfinden war zwiegespalten. Ich habe mich aufgrund der professionellen Organisation und der dauerhaften Anwesenheit unseres Personenschützers Asher immer gut gefühlt. Dennoch stets begleitet von einem mulmigen Gefühl. Das Treffen mit Ayelet und Ori Epstein sollte in ihrem Kibbuz stattfinden. Nach Raketenangriffen auf Israel am Morgen hat Asher wegen der prekären Sicherheitslage eine Verlagerung des Treffens empfohlen. Auch während des Besuchs der Jerusalemer Altstadt gab es einen größeren Polizeieinsatz. Asher bekam telefonisch die Information, dass ein Messerattentat verhindert werden konnte. Wir mussten unsere Route ändern.

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Eine besondere Einladung gab es kurz vor dem Ende Eurer Reise. Ihr wurdet von Steffen Seibert, dem ehemaligen Regierungssprecher von Angela Merkel und heutigen deutschen Botschafter in Israel, empfangen.

Das war am 79. Jahrestag des Kriegsendes 1945. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Initiative Zikaron BaSalon, „Eine Erinnerung im Wohnzimmer“, statt. Es handelt sich um organisierte Zusammenkünfte in Privathäusern anlässlich der Holocaust-Gedenktage, sie bestehen aus drei Teilen: Zeugnis eines oder einer Holocaust-Überlebenden oder Nachkommen, Austausch und Diskussion. Mit dabei waren auch Spieler der vier israelischen Clubs Maccabi Tel Aviv, Maccabi Haifa, Maccabi Netanja und Hapoel Jerusalem. Besonders war aber, dass wir die Ehre hatten, uns mit Michael Smuss auszutauschen. Er wurde 1926 geboren und ist der letzte Überlebende des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943. Heute ist er 98 Jahre alt.

Was hat er Euch erzählt?

Seine Lebensgeschichte war geprägt von unfassbarem Leid. Er erzählte von der Zeit im Warschauer Ghetto und in den Konzentrationslagern Lublin-Majdanek und Flossenbürg. Er schilderte Erlebnisse aus seinem Alltag und wie er wie Tausende als Zwangsarbeiter ausgenutzt wurde. Sie wurden in Räume geführt und wussten nicht, ob Gas oder Wasser aus den Duschköpfen kommt. Es ist ihm ein wichtiges Anliegen, als Zeitzeuge über das Erlebte und seine Erfahrungen zu sprechen. Er war regelmäßig wieder im ehemaligen Konzentrationslager, um sich dort mit Jugendlichen zu treffen und seine Geschichte zu erzählen. Alles mit dem Ziel, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passiert. Ich habe allergrößten Respekt davor, dass er bei allem Erlebten seinen Humor nicht verloren hat. Und obwohl wir alle wieder Tränen in den Augen hatten, hat er uns regelmäßig ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Eine Begegnung, die ich niemals vergessen werde.

Was ist Deine Erkenntnis aus diesem Gespräch?

Dass wir diese Ansätze der Erinnerungskultur fördern müssen. Es braucht mehr als den Geschichtsunterricht mit reinen Fakten und Zahlen über die Verbrechen der Nazis. Für mich ist es nicht nachvollziehbar: Während die letzten Überlebenden des Holocausts von ihren Martyrien erzählen, nehmen Antisemitismus und andere diskriminierende Vorfälle wieder massiv zu! Auch der Anteil vor allem junger Menschen, der die AfD wählt, hat stark zugenommen. Das darf nicht sein und wir alle gemeinsam müssen da gegensteuern. Besonders Kinder und Jugendliche müssen besser erreicht werden. Es ist bildender und nahegehender, wenn Zeitzeugen oder deren Nachkommen ihre Geschichten erzählen. Nur sie können das Leid glaubhaft vermitteln, um Menschen nachhaltig zum Nachdenken anzuregen, ihr Handeln zu ändern und aktuelle Entwicklungen umzukehren. Wir alle müssen für Frieden und gegen Antisemitismus und Diskriminierung zusammenstehen. So etwas wie der Holocaust darf sich nie wiederholen. Der sinnlose Hass auf Völker, Religionen oder bestimmte Menschen muss aufhören. Dabei klingt dieses Ziel so leicht, wenn Michael Smuss uns mit 98 Jahren Lebenserfahrung die bewegende, aber rhetorische Frage stellt: Warum leben wir nicht einfach alle friedlich zusammen?