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Philipp Köster: „Diesen Wahnsinn mag ich wahnsinnig“
Ein Magazin nur über den 1. FC Köln. Eine gute Idee, haben sich die Macher von 11Freunde gedacht und vor kurzem die Sonderausgabe „11FREUNDE LEGENDEN – Die andere Geschichte des 1. FC Köln“ herausgebracht. Ein Heft voll mit Geschichten rund um den FC aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Wie kam es dazu, was macht den FC so besonders und wann ist wieder ein FC-Profi auf dem Cover der regulären 11Freunde? Ein Gespräch mit Philipp Köster (Foto: Anna Dittrich), dem Gründer und Chefredakteur von 11Freunde.
Philipp, es gibt schlechtere Zeitpunkte, um ein Magazin nur über den 1. FC Köln zu veröffentlichen, oder?
Philipp Köster: Das stimmt. Der Aufstieg hat natürlich eine gewisse Rolle gespielt. Zu unserer Ehrenrettung muss ich aber sagen, dass wir das Heft schon geplant hatten, als der FC noch in der 2. Bundesliga gespielt hat.
Warum?
Wir haben festgestellt, dass die Liebe der Fans zum FC ligaunabhängig ist. Ich vermute, der Verein könnte auch in der Kreisliga gegen die zweite Mannschaft aus Sülz spielen und es würden trotzdem 10.000 Leute kommen und sich das angucken. Köln ist einfach so eine wunderbar fußballverrückte Stadt, die auch immer ganz leicht in den Wahnsinn driftet.
In Köln hält sich hartnäckig das Gerücht, das FC-Legendenheft sei schon jetzt das bestverkaufte dieser Serie…
Ich habe vor unserem Gespräch noch einmal auf unsere Vorhersagenkurve geschaut und festgestellt, dass es das bestverkaufte Legendenheft aller Zeiten ist, also noch vor dem HSV, Gladbach, Bayern, Schalke und anderen.
Woran liegt das?
Einerseits sind die Leute einfach wahnsinnig FC-verrückt. Dazu kommt die Euphorie, die aktuell rund um den Club herrscht. Und Köln ist neben Berlin auch so etwas wie die zweite Heimat von 11 Freunde. Der Verlag Intro, von dem 11 Freunde herausgegeben wurde, mit unserem Herausgeber Matthias Hörstmann saß in Köln. Wir hatten dort immer wieder Veranstaltungen, unsere erste Lesung außerhalb von Berlin fand dort statt und dauerte über vier Stunden, bis alle am Schluss total erschöpft waren. Wenn wir in Köln eine Veranstaltung machen, ist diese immer sofort ausverkauft. Irgendwie passt das, 11Freunde und Köln.
Diese guten Zahlen zeigen doch eindeutig: Der FC ist der spannendste Club im deutschen Fußball.
Für mich persönlich als Arminia-Bielefeld-Fan würde ich das natürlich verneinen (lacht). Aber ich habe tatsächlich auch ein Herz für Clubs, bei denen man immer das Gefühl hat, dass auch ein bisschen der Wahnsinn mitregiert. Ich mag zum Beispiel auch den FC Schalke 04, weil du das Gefühl hast, auch dort drehen den Leuten immer wieder die Sicherungen durch. Der FC kann viermal hintereinander abgestiegen sein, gewinnt dann einmal und sofort ist wieder große Euphorie da. Diesen Wahnsinn mag ich wahnsinnig. Gerade in einem modernen Fußball, in dem sehr, sehr vieles inzwischen sehr kontrolliert, gesteuert und erwartbar ist. Da sorgen beim FC Leute mit einem großen Herz für den FC, aber vielleicht nicht immer der besten Strategie einfach für große Unterhaltung. Es gibt eine Riege von Clubs, die mit unendlich viel Emotionen regiert werden. Ich weiß, dass im modernen Fußball viele Leute sagen, man muss viel professioneller sein, muss klare Fünfjahrespläne und Strategien haben. Aber ganz ehrlich: Ich gehe eigentlich wegen Mannschaften wie dem 1. FC Köln, dem FC Schalke 04, den Löwen oder anderen Clubs ins Stadion, die etwas leicht Erratisches und Emotionales haben. Insofern soll der FC mal so bleiben wie er ist.
Schon im Vorwort des Magazins schreibt Ihr, dass der FC in 77 Jahren für so viele Heldentaten, Dramen und Tragödien sorgt, für die andere Clubs die doppelte Zeit benötigen. Warum ist der FC so anfällig dafür?
Ich glaube, dass der Fußball so wunderbar zur Mentalität der Kölner passt. Es gibt neben dem FC die Religion und den Karneval - und der FC ist wie Religion und Karneval an jedem Wochenende im Stadion. Man hat das Gefühl, dass sich die Kölner Bevölkerung den Club genauso geschnitzt hat, wie sie ihn braucht, nämlich jedes Wochenende ein bisschen religiöse Verehrung und ein bisschen Exzess wie im Karneval.

Wie wichtig ist aus Deiner Sicht ein Verein wie der FC für den deutschen Fußball in Zeiten, in denen Investoren mal mehr und mal weniger offensichtlich versuchen Einfluss zu nehmen?
Fußballclubs oder der Fußball insgesamt sind nach wie vor das letzte große Lagerfeuer. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt, dass immer mehr kulturelle und soziale Milieus wegbrechen – ob es eine Ortsvereinskultur oder eine religiöse Kultur ist. Im Stadion treffen sich trotzdem noch alle. Wir leben in einer wahnsinnig schnelllebigen Welt und durch das Internet rücken Dinge quasi in Echtzeit wahnsinnig nah an dich ran. Fußballvereine sind Kontinuität und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Fans und Mitglieder wissen: Das ist unser Verein, den kann uns auch niemand wegnehmen. In Zeiten, in denen man das Gefühl hat, dass sich alles verändert und nicht nur zum Guten, kann man die kulturelle Identität von Clubs wie dem FC gar nicht überschätzen.
Bei der Vorstandwahl des FC im September standen drei Teams zur Wahl, die alle eines gemeinsam hatten: keine Investoren. Beim FC gewinnt man also keinen Wahlkampf mit einem Investoreneinstieg. Das dürfte Dich als 50+1-Verfechter sehr freuen.
Mich hat es sehr gefreut, dass auch mal verschiedene Teams miteinander um die beste Lösung für den FC gerungen haben. Es war bei allen harten Worten, die mal in einem Wahlkampf fallen, ein sehr fairer Wahlkampf. Er hat vor allen Dingen klar gemacht, dass sich die Mitglieder nicht ihrer Rechte berauben wollen. Warum sollten das die Mitglieder auch machen und sagen, dass jemand anderes als sie entscheiden soll? Die innere Clubdemokratie ist eine der wichtigsten Sachen überhaupt. Ich habe gerade erst einen Podcaster aus England gehört, der gesagt hat: Diese Stimmung, die in Deutschland herrscht, entsteht nicht nur dadurch, dass die Leute Fahnen und Schals ins Stadion mitbringen oder durch das Singen, sondern weil sie sich mit dem Club identifizieren, weil sie wissen: Das ist unser Club. Auch wenn viele immer sagen, wir sollen so sein wie die Premier League, glaube ich, dass dieses Gefühl in der Premier League längst verloren gegangen ist. Für mich ist der eigentliche Kern von Fußballkultur die Teilhabe, das Gefühl, dass es wichtig ist, dass du ins Stadion gehst.
Werfen wir einen Blick in das FC-Sonderheft. Darin gibt es die schöne Geschichte, dass der FC, rund um die Gründung der Bundesliga, einmal der am besten geführte Club in Deutschland war. Was ist dann passiert?
Der Wettbewerbsvorteil in den ersten Jahren war, dass die Führungsspitze um Franz Kremer schnell erkannt hat, was professioneller Fußball braucht. Sehr viele Clubs sind gerade Anfang der 60er-Jahre relativ unvorbereitet in das Abenteuer Bundesliga gestolpert. Beim FC wurden klare Strukturen geschaffen und das Ganze wurde unterstützt von einer großen Begeisterung in Köln. Ich glaube, dass man in den Siebzigern gar nicht viel schlechter geworden ist, sondern dass es einfach andere Clubs gab, die sich deutlich stärker entwickelt haben. Aber auch am Ender der 70er, Anfang der 80er war der 1. FC Köln noch so präsent, dass es einen eigenen Kölner Tisch bei der Nationalmannschaft gab.
Hast Du eine persönliche Lieblingsgeschichte im Heft?
Es gibt ein paar Geschichten, die ich wirklich gerne gelesen habe und die mich auch berührt haben. Der Tod von Mucki Banach ist ein Ereignis, von dem ich damals total schockiert war, als ich es im Radio gehört hatte. Ich dachte: Das kann doch gar nicht wahr sein. Auch die Geschichte über Peter Stöger und Jörg Schmadtke habe ich sehr gerne gelesen. Das war eine Zeit, fast ein bisschen wie jetzt gerade, wo man dachte: Jetzt starten wir mal durch, jetzt sind wir in der Bundesliga endlich wieder eine Nummer. Manche Geschichten mahnen auch, seriös weiterzumachen und erst zu versuchen sich zu etablieren, ohne gleich wahnsinnig zu werden. Das ist immer eine große Herausforderung beim FC.

Es gibt viele außergewöhnliche Geschichten, die es so nur in 11Freunde zu lesen gibt. Wie schafft Ihr es, diese Geschichten immer wieder aufzuspüren?
Ich stelle fest, dass das fast mit jedem Heft schwieriger wird. Es gibt unzählige Geschichten, die bereits erzählt worden sind, gerade aus dem Mythenschatz des internationalen Fußballs. Da haben wir von den großen und kleinen Ereignissen fast alles schon einmal gewürdigt. Es wird auch deshalb komplizierter, weil es natürlich ein Bedürfnis der Clubs und der Spieler gibt, ihre Aussagen zu kontrollieren. Michael Ballack hat uns mal vor ein paar Jahren gesagt: Wenn er eine kühne Aussage trifft, hat er damit Wochen zu tun, diese wieder einzufangen. Darauf hat er keinen Bock. Deswegen sagt er nichts Kontroverses mehr.
Welche Ansätze verfolgt 11Freunde beim Umgang mit den Protagonisten?
Uns ist ganz wichtig, dass wir nicht schwarz-weiß berichten, denn die Welt ist oft viel bunter und facettenreicher als sie gerade in Boulevardgeschichten präsentiert wird. Oft werden Manager, die gerade keinen Erfolg haben, als totale Volltrottel dargestellt. Spieler werden oft als gierig und besessen nach Millionen präsentiert. Aber das sind meist ganz normale Jungs, die das Glück oder Pech haben, in einer riesigen Entertainmentindustrie zu arbeiten. Da differenziert hinzuschauen und Geschichten zu schreiben, die vor allem etwas mit Fußballkultur zu tun haben, ist für uns das Allerwichtigste.
Du hast schon gesagt, dass die Aussagen immer einheitlicher werden, insbesondere nach Spielen. Viele Pressekonferenzen sind inzwischen eher notwendiges Übel als wirklich erhellend. Wie schafft man es, das wieder zu drehen, damit die Protagonisten authentischer und offener sind?
Das hat etwas mit der Vertrauensbasis zu tun. Wenn sich Leute mit uns unterhalten, wissen sie, dass wir sie nicht in die Pfanne hauen wollen und durch einen Raster auf den Fußball gucken, der erst mal mit sehr viel Liebe gefüllt ist. Wir sortieren alles sehr stark nach: Was passiert aus Liebe zum und einer Faszination für den Sport? Und was passiert aus reiner Geschäftemacherei? Es gibt ja nun auch echt viele unseriöse Geschäftemacher im Fußball, die nur darauf schauen, dass es auf dem Konto stimmt, die aber wenig Liebe zum Fußball haben.
Zurück zum FC: In der Aktualität steht der Verein nach Jahren wieder finanziell gesund da, es läuft sportlich. Wie schätzt Du die aktuelle Situation ein?
Als FC-Fan würde man sagen: Der nächste Schritt muss international sein. Ich glaube, wichtig ist zunächst, dass man sich etabliert und ruhig weiterarbeitet, nicht sofort hektisch wird, wenn es mal nicht so gut läuft. Klar sind die Rahmenbedingungen, die Fanbegeisterung, die Strukturen und die Jugendarbeit so, dass man die Möglichkeit haben sollte, immer konstant Bundesliga zu spielen. Erst einmal geht es darum, diese immanente Hektik, die es sonst immer beim FC gibt, mal für ein paar Jahre auszublenden und zu sagen: Leute, wir versuchen wirklich, kontinuierlich weiterzumachen und geraten nicht sofort in Panik. Dann kann der FC erst mal ein ganz wunderbarer Mittelklasseverein in der Bundesliga sein und irgendwann in den nächsten Jahren auch wieder nach oben gucken.
Hast Du beim aktuellen FC einen Lieblingsprotagonisten?
Ich sehe erstaunt, dass so ein junger Mann wie Said El Mala sofort spielt und so performt. Der ist sofort im Fokus von ganz, ganz großen Clubs, das ist fast schon wieder ungesund und du hast natürlich bei einem Club wie dem FC auch gar keine Möglichkeit, das wirklich einzubremsen. Ihn halte ich für eine ganz spannende Personalie. Darüber hinaus spielt der FC momentan einen Fußball, der zur Stadt und zum Stadion passt: dynamisch, aggressiv, attackierend.
Wir haben einmal ins jüngere 11Freunde-Archiv geschaut und festgestellt, der letzte FC-Profi auf dem Cover…
…müsste Jonas Hector gewesen sein.

Genau. Das ist inzwischen fast zweieinhalb Jahre her. Mit Blick auf die Verkaufszahlen vom Beginn unseres Gesprächs: Es wird mal wieder Zeit für mehr FC-Titel, oder?
Wir hatten sehr häufig Kölner Titelbilder, auf denen der Geißbock oder das Wappen ramponiert aussah. Jonas Hector hat uns damals ein sehr, sehr schönes Interview gegeben, war sehr offen und ein ganz tolles Beispiel für einen reflektierten Profi. Ich würde vorschlagen: Ich geh mal durch den Kader und schaue, mit wem wir die nächste große Geschichte machen für den FC. Aber ich empfinde das gerade gegenüber der Stadt Köln und gegenüber dem FC als Verpflichtung, dass wir in den nächsten Monaten den FC wieder auf dem Cover haben.
Das nehmen wir als Versprechen und als gutes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch, Philipp.
