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Sandra Maria Jessen: eine Mutter im Profifußball

31.12.2025

Es schien ein normaler Trainingstag zu sein, als sich Sandra Maria Jessen am Geißbockheim für die Einheit mit ihrer Mannschaft bereit machte. Alles war wie gewohnt – könnte man meinen. Und doch war etwas anders an diesem Tag: Ihre vierjährige Tochter Ella Ylví musste vom Kindergarten abgeholt werden. Normalweise macht das die isländische Nationalstürmerin der FC-Frauen selbst, oder ihr Partner Tom. An diesem Nachmittag war das aber ausnahmsweise nicht möglich. Jessen hatte Training, ihr Partner war an diesem Tag beruflich im Ausland. Doch beim FC gibt es genug Hände, die sich freiwillig gegenseitig helfen. Zeugwart Luca Flock baute Ellas Kindersitz ins Auto von Cheftrainerin Britta Carlson ein und holte Ella damit vom Kindergarten ab. „Als Mama ist man immer ein wenig nervös, wenn das eigene Kind zum ersten Mal von jemand anderem im Kindergarten abgeholt wird, weil man hofft, dass alles ohne Probleme klappt. Aber Ella freut sich schon sehr, dass sie nach dem Kindergarten ans Geißbockheim darf. Sie ist gerne hier“, erzählt Sandra Jessen.

Einige Stunden später waren die Sorgen unbegründet, nach dem Training lief die kleine Ella ihrer Mama freudestrahlend in die Arme. „Es ist unheimlich schön zu spüren, wie wir, seitdem wir hier sind, unterstützt werden. Der FC ist wie eine zweite Familie“, sagt Jessen. „Man hört bei Vereinswechseln häufig, wie toll alles und wie groß die Hilfsbereitschaft ist. Hier kann ich nach den ersten Monaten sagen, dass es wirklich so ist – sogar noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Alle stehen zu 100 Prozent hinter mir und meiner ganzen Familie. Und ich glaube, das ist der Hauptgrund, warum ich mich hier so wohl fühle und warum ich alles hundertprozentig auf dem Platz geben kann.“

Tore, Tore, Tore

Die isländische Torjägerin zahlt die Unterstützung voll und ganz zurück. Die 30-Jährige ist nicht nur Kölns Topscorerin, zwischenzeitlich führte sie auch die Torjägerliste der Frauen-Bundesliga an. Anders als ihre Mitstreiterinnen benötigte sie für ihre acht Tore keinen Elfmeter. Ihr erstes Ligator für den 1. FC Köln erzielte die 30-Jährige im Auswärtsspiel bei der SGS Essen – und ließ im gleichen Spiel ihren zweiten Treffer folgen. Der berühmte Knoten war am dritten Spieltag der Google Pixel Frauen-Bundesliga geplatzt. Nach Abpfiff durfte Töchterchen Ella mit auf den Rasen, holte sich einen Fußball, legte ihn sich zurecht und schoss ihn, wie die Mama zuvor im Spiel, unter tosendem Applaus der mitgereisten FC-Fans ins Tor. Eine herzerwärmende Szene – danach rannte Ella stolz zu ihrer Mama und jubelte noch einmal mit ihr gemeinsam.

Bereits bei der Verpflichtung der isländischen Stürmerin im vergangenen Sommer waren Partner Tom und Töchterchen Ella dabei. Ella bekam zur Begrüßung ein kleines Trikot in ihrer Größe und einen Plüsch-Geißbock geschenkt, den sie direkt ins Herz geschlossen hat. „Das FC-Logo mit dem Geißbock hat seitdem eine besondere Bedeutung für Ella“, erzählt Jessen. „Mit einem Kind hat man bei einem Vereinswechsel natürlich eine ganz andere Verantwortung und muss viel mehr organisieren. Wir hatten in Island eigentlich erst ein Haus gekauft. Als das Angebot des 1. FC Köln kam, war für mich trotzdem klar, dass ich das unbedingt machen möchte. Wir mussten innerhalb von wenigen Wochen einen Zwischenmieter für unser Haus finden. Meine Mutter hat mich in der Anfangszeit in Köln unterstützt, mein Partner hat sich noch um alles in Island gekümmert und ist dann nachgekommen. Es hat alles gut geklappt, aber es war schon eine bewusste und große Entscheidung, mit der ich aber zu einhundert Prozent happy bin.“

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Ella wurde vor vier Jahren in Deutschland geboren. Jessen erzählt: „Wir hatten damals als Familie entschieden, nach Island zu ziehen, weil ich dort eine bessere Unterstützung hatte. Nach der Geburt durfte ich drei Monate keinen Sport machen, aber ich wusste vom ersten Tag an, dass das nicht das Ende meiner Fußballkarriere ist. Ich habe erst mit leichten Übungen angefangen, bin gelaufen. Dein Körper fühlt sich nach einer Schwangerschaft komplett verändert an, er funktioniert anders – und damit muss man dann lernen umzugehen. Ich hatte schon schwere Verletzungen und bin danach auf den Platz zurückgekehrt, aber nach der Schwangerschaft war es etwas ganz anderes. Ich musste wirklich hart arbeiten, um wieder meine Fitness zu bekommen. Ich war quasi auf dem Nullpunkt.“

Traum von der Rückkehr auf den Platz

Viele Profi-Fußballerinnen, die während ihrer Karriere Mutter wurden, und dann in den Leistungssport zurückgekehrt sind, gab es zu dieser Zeit nicht und das ist auch heute noch äußerst selten. „Ich hatte den Traum, wieder in der Liga und in der Nationalmannschaft zu spielen und das hat geklappt“, verrät Jessen. Bei der letzten Europameisterschaft bestritt Jessen alle Spiele für Island. Danach kamen Angebote von verschiedenen Clubs, die die Stürmerin verpflichten wollten.

Das überzeugendste kam vom 1. FC Köln. „Die Gespräche mit Nicole Bender-Rummler und Britta Carlson haben mich am meisten beeindruckt. Sie haben mir gesagt, dass ich genau der Stürmerinnentyp bin, den sie für ihre Mannschaft suchen. Ich habe sofort gespürt, dass ein klarer Plan dahintersteht“, sagt Jessen. „Ich musste mir dann in kürzester Zeit überlegen, ob ich in Island bleiben möchte, oder nochmal ein Abenteuer angehen und zeigen möchte, auf was für einem Niveau ich spielen kann. Zudem war Deutschland nicht unbekannt für mich, weil ich schon in der Bundesliga gespielt hatte und meine Eltern sich in Köln kennengelernt haben. Deswegen hat Köln eine besondere Bedeutung für unsere ganze Familie. Das erste Gefühl vor einem Vereinswechsel ist wichtig für mich und das hat beim FC absolut gestimmt. Mittlerweile kann ich sagen, ich hätte mir das nicht besser ausmalen können, wie es gelaufen ist. Ich bin stolz, Teil der FC-Familie zu sein.“

Jessen wurde in Akureyri geboren, eine Stadt mit ca. 20.000 Einwohnern am Fuße des Fjords Eyjafjördur im Norden Islands. Island ist bekannt für Vulkane, beeindruckende Natur und trotz des kleinen Landes für bemerkenswert gute Sportlerinnen und Sportler. „Das ist wohl ein nie entschlüsseltes Geheimnis, warum Island im Sport so erfolgreich ist“, sagt Jessen lachend. „Ich glaube, wir haben einfach sehr gute Strukturen. Es ist normal, dass Kinder Sport machen und damit aufwachsen. Es gibt viele Vereine und Möglichkeiten für Sport in Island.“

Der Alltag als Puzzle

In den Länderspielphasen ist Jessen stets für die isländische Nationalmannschaft unterwegs. Das bedeutet immer einen organisatorischen Aufwand für die kleine Familie. Den haben Jessen und ihr Partner allerdings auch im Alltag. Wer bringt Ella in den Kindergarten, wer holt sie ab? Wer arbeitet und trainiert wann? Nach dem Kindergarten kümmern sich beide liebevoll um Ella. Jessen erklärt: „Unser Alltag ist häufig wie ein riesiges Puzzle. Man stimmt alles so aufeinander ab, dass es nachher passt. Es gibt immer eine Lösung. Und falls mal Probleme auftreten, muss man umplanen. Aber bisher klappt das alles immer sehr gut und wir haben ja auch Unterstützung. Viele haben mich früher gefragt, warum spielst du immer noch Fußball, wenn du Mutter bist? Ich antworte dann: Weil es möglich ist. Wenn ich beides liebe, warum sollte ich dann nicht auch beides machen.“

Für die FC-Frauen ist sie in der Offensive mittlerweile unverzichtbar. Beim 4:1-Auswärtssieg beim Hamburger SV im großen Volksparkstadion erzielte sie einen Dreierpack, das zwischenzeitliche 3:1 von Adriana Achcinska bereiteten sie und Pauline Bremer mit einer wunderschönen Kombination mustergültig vor. Sie trifft mit dem Fuß, sie trifft mit dem Kopf und hat als Teamplayerin einen Blick für die Mitspielerin. Nach zwölf Spieltagen haben die FC-Frauen bereits 18 Punkte auf dem Konto und damit vier Zähler mehr als in der gesamten vergangenen Saison. Die gute Entwicklung des gesamten Teams ist deutlich sichtbar. Jessen sagt: „Es macht so viel Freude in dieser Mannschaft zu spielen und zu sehen, dass wir immer besser werden. Ich bin sehr glücklich hier und das ist die Basis für die guten Leistungen auf dem Platz.“ Denn dort passt aktuell ebenfalls jedes Puzzlestück ­ineinander.

Der Text ist zuerst im GeißbockEcho (Ausgabe 2, Saison 2025/26) erschienen. Weitere Hintergrundstorys zum FC lest Ihr hier im geschlossenen Mitgliederbereich.