
„Verantwortung hört nicht am Spielfeldrand auf“
Führung, Verantwortung, die Rolle des Sports für die Gesellschaft – unter anderem darüber sprechen FC-Kapitän Timo Hübers und Moritz Müller, Kapitän der Kölner Haie, im ausführlichen GeißbockEcho-Interview.
Mitte Februar führt das GeißbockEcho die Kapitäne der beiden größten Kölner Sportclubs zusammen: Timo Hübers vom 1. FC Köln und Moritz Müller von den Kölner Haien. Die Haie haben am Tag zuvor das Heim-Derby gegen die Düsseldorfer EG gewonnen, der FC kurz zuvor mit 0:3 auswärts beim 1. FC Magdeburg verloren. Die beiden Kapitäne sprechen in den Räumlichkeiten des RheinEnergieSTADIONs über den Umgang mit Sieg und Niederlage, die gesellschaftliche Verantwortung des Sports und die Entwicklung von Führung.
Moritz, Glückwunsch zum Derbysieg. Zwei Tage zuvor habt Ihr auswärts in Straubing verloren. Wie geht es Dir nach all den Jahren im Profigeschäft nach positiven und negativen Erlebnissen?
Moritz Müller: Das hat sich bei mir nicht verändert. Es gibt sicher Spieler, bei denen das über die Jahre schwächer geworden ist. Ich bin sehr verwurzelt hier in der Stadt und im Verein, deshalb nimmt es mich im Positiven wie im Negativen schon immer mit.
In der sehr sehenswerten Doku von Magenta Sport zu Deinem 1000. DEL-Spiel sprichst Du davon, dass Dich selbst ein schlechter Pass im Training immer noch ärgert. Wie ist Dein Umgang mit Negativerlebnissen im Sport?
Müller: Man lernt in gewissem Maße damit umzugehen. Heute scheint die Sonne und würde auch scheinen, hätten wir gegen die DEG verloren. Oft heilt die Zeit die Wunden, das nächste Training, das nächste Spiel. Ich habe da kein Patentrezept oder einen Trick. Einfach weitermachen und bis zum nächsten positiven Erlebnis arbeiten.
Ende Januar hast Du im Heimspiel gegen München in der letzten Sekunde des Spiels die Scheibe hinter dem Tor verloren, Ihr habt 0,4 Sekunden vor dem Ende das Gegentor zur Niederlage kassiert. Am Tag danach ist Dein ehemaliger Nationalmannschaftskollege Tobias Eder an seinem Krebsleiden verstorben. Ein solches tragisches Ereignis relativiert die die Bedeutung des Sports, oder?
Müller: Ja, aber man vergisst das leider oft schnell. Es gibt Momente, in denen man merkt, was wirklich wichtig ist im Leben. Dann vergeht eine gewisse Zeit und es geraten doch wieder andere Dinge mehr in den Fokus. Tobis früher Tod ist eine ganz traurige Geschichte. Die Zeit von Tobias Tod bis zur Beerdigung war sehr schwierig. Tobi hinterlässt eine große Lücke.
Timo, wir sitzen hier wenige Tage nach der 0:3-Niederlage in Magdeburg. Wie lange beschäftigt Dich so ein Negativerlebnis noch?
Timo Hübers: Nach Abendspielen ist die Schlafqualität unabhängig vom Ausgang nicht gut, man ist aufgewühlt und verarbeitet die Eindrücke vom Spiel. Nach einer Niederlage dauert das Verarbeiten sicher länger als nach positiven Erlebnissen. Und nach einer Niederlage wie im Pokal in Leverkusen, wenn man nach einem aufreibenden Spiel so bitter ausscheidet, dauert es noch einen Tick länger. Aber wie Moritz es sagt: Es geht weiter und das nächste Spiel steht an. Mit dem Start der Trainingswoche geht das Wunden heilen dann auch am besten. Niederlagen gehören zum Spiel dazu, wichtig ist nur, wie man damit umgeht.
Im Sommer gab es die auf eine Saison bezogen größtmögliche Niederlage, den Abstieg. Wie schnell kann man das ablegen?
Hübers: Der Abstieg kam nach dem Saisonverlauf nicht mehr überraschend, es war eine Entwicklung über Monate. Dennoch ist es in dem Moment super frustrierend und enttäuschend. Es war gut, dass danach erst einmal Urlaub war, um das ein Stück weit abzuschütteln. Zum Start in die Saison, als noch nicht alles zusammenlief, gab es noch Flashbacks an die vergangene Saison. Aber mit positiven Erlebnissen bekommt man das aus den Köpfen.

Wann war für Dich klar, dass Du nicht davonläufst, sondern versuchst, es mit dem FC in der 2. Liga wiedergutzumachen?
Hübers: Eigentlich schon kurz nach Saisonende. Man muss den Abstieg verarbeiten und schauen, was man selbst in Zukunft möchte und nicht aus einer Emotion heraus entscheiden. Deshalb habe ich mir schon ein paar Tage Zeit genommen, habe Gespräche mit mir selbst, mit der Familie, meiner Freundin und Mitspielern geführt. Dann haben wir recht schnell zueinander gefunden.
Der Großteil der Mannschaft ist geblieben. Wie kann man sich diesen Ablauf vorstellen
Hübers: Wir haben uns nicht direkt zusammengesetzt, waren aber natürlich im Austausch. Am Ende sind es Entscheidungen, die jeder für sich treffen muss. Für den FC ist es eine Auszeichnung, dass so viele einzelne Entscheidungen für den FC ausgefallen sind.
Moritz, kannst Du Dich hineinfühlen, wenn man so einen richtigen Nackenschlag kassiert und dann den Drang hat es wiedergutzumachen?
Müller: Total, ich kann mich aber auch in die Situation hineinversetzen, dass man absteigt und dann geht. Das würde ich auch verstehen. Wir haben 2014 zu Hause das Finale in Spiel sieben verloren. Das hat sich für mich wahrscheinlich ähnlich angefühlt. Ich habe wirklich sehr, sehr viel von mir gegeben in dieser Zeit. Ich bin den anschließend nicht immer einfachen Weg gegangen und es hat mich rückblickend zu dem gemacht, der ich heute bin, auch in der Verbindung mit dem Verein.
Du sprichst die Verantwortung an. Wie definiert Ihr für Euch diesen Begriff, sowohl im Sport aber auch im Leben?
Hübers: Verantwortung heißt für mich, erst einmal die bestmögliche eigene Leistung zu bringen, damit sich andere Spieler daran orientieren können. Dazu gehören die Körpersprache und eine positive Ansprache zu den Mitspielern – und so auch jedem einzelnen zu helfen, bestmöglich zu performen. Das ist mindestens genauso wichtig wie selbst zu performen. Gerade in diesen Zeiten hört Verantwortung aber nicht am Spielfeldrand auf. Da gilt es auch für Werte und Tugenden einzustehen, die das Zusammenleben einfacher machen.
Müller: Das unterschreibe ich so. Ein Punkt kommt für mich noch dazu: Man muss es auch einfach sein. Entweder man ist jemand, der vorangeht, oder nicht. Ich habe letztens ein Lied gehört, da war die Aussage: Es kommt der Moment, da muss sich einer stellen und einer muss hervortreten. Ich war schon immer jemand, der sich gestellt hat, wenn es sein musste. Das respektiert auch der Rest der Truppe, wenn sie wissen: Wenn es darauf ankommt, ist derjenige da und geht voran.

Moritz spricht davon, dass es die Mannschaft respektiert. Inwieweit ergibt sich Führung also aus einer Mannschaft selbst heraus?
Hübers: Wenn man es aus einer anderen Perspektive betrachtet: Wenn man irgendwo neu hinkommt und glaubt, gleich der große Zampano zu sein, der alles bestimmt, dann klappt das nicht. Das ergibt sich mit der Zeit. Ich bin nun insgesamt im fünften Jahr beim FC, kenne das ganze Drumherum. Ich habe in der Zeit mit die meisten Spiele gemacht, habe Europa-Spiele und den Abstieg mitgemacht. Deshalb kann ich auf einen ganz guten Erfahrungsschatz zurückgreifen.
Timo sagt, Verantwortung endet nicht am Spielfeldrand. Sowohl die Haie als auch der FC sind zwei Clubs, die das leben, die sich sozial engagieren, die für Werte und Vielfalt stehen. Wie wichtig ist das für Euch, als Sportverein für Werte zu stehen und diese auch nach außen zu tragen?
Müller: Es muss authentisch sein. Es gibt viele Vereine, die viele Marketingkonzepte fahren. Es muss wirklich gelebt werden. Der Sport ist etwas, das vom Nachwuchs bis in den Profibereich verbindet und als Vorbildfunktion in der Gesellschaft dient. Das ist das größte Gut des Sports, das ist für mich gelebte Vielfalt.
Hübers: Sport hat einen riesigen Stellenwert in der Gesellschaft. Gerade in Köln hängt an jeder Straßenecke ein Geißbock oder ein Hai. Die Leute können sich größtenteils deshalb damit identifizieren, weil gewisse Werte vorgelebt werden. Wie Moritz sagt, fahren viele Vereine eine CSR-Strategie, die dazu dienen soll, das Image aufzupolieren. Das hat man insbesondere bei den beiden Kölner Vereinen überhaupt nicht, da merkt man, dass es von Herzen kommt und sie Positives schaffen wollen in der Gesellschaft.
Timo, Du bist im fünften Jahr in Köln, Moritz, Du seit 22 Jahren. Was macht Köln so besonders, dass es hier weit mehr als nur eine PR-Strategie ist?
Müller: Ich bin 22 Jahre in Köln, bin davor aber viel rumgekommen. Köln ist schon eine Stadt – auch wenn es wie eine Floskel klingt – mit einem besonderen Gefühl, im positiven wie im negativen Sinne. In Köln bist Du schnell der beste Freund. Ich habe Timo gerade zugehört, wie er die Niederlage gegen Magdeburg erklärt hat. Am Ende wurde ein Spiel verloren. Aber in Köln fühlt sich eine Niederlage immer ein bisschen schlimmer und ein Sieg immer ein bisschen schöner an als woanders. Die Kunst ist es, mit beiden Gefühlen richtig umzugehen.
Hübers: Man hört oft, dass es hier ein besonderes Gefühl und die Menschen herzlich sind. Aber letztendlich bestehen die Marke FC und die Marke Haie eben aus den Leuten, die hier Woche für Woche ins Stadion und die Arena kommen und die Werte von außen mit hineintragen und maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass dieses Gefühl zustande kommt.

Ihr sprecht die verbindende Kraft des Sports an. Wie wichtig kann der Sport sein in Zeiten, in denen die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, in denen wir in Europa einen Rechtsruck erleben?
Hübers: Man lebt ein Stück weit in seiner Bubble. Meine besten Freunde, meine Freundin, meine Familie sind alles Akademiker. Fast jeder, den ich dort kennengelernt habe, ist auf dem Dorf mit einem Einfamilienhaus großgeworden. Da ist mir auch bewusst, dass das super privilegiert ist. Der Sport ist der kleinste gemeinsame Nenner, wo alle Gesellschaftsschichten und alle Nationen zusammenkommen. Es ist egal, wie lange jemand in Deutschland ist, wen er liebt oder was er sonst in seinem Leben macht. Für den Moment zählt nur der Sport. Da können sich die Politiker auf großer Ebene vielleicht bei kleinen Sportvereinen schon etwas abschauen.
Müller: Das sehe ich genauso. Vom Spielfeld bis zur Tribüne ist der Sport etwas Verbindendes. Wenn man sieht, wie sich die Leute in der Niederlage trösten oder im Sieg in den Armen liegen – da ist es egal, aus welcher Gesellschaftsschicht man kommt oder wie man aussieht Jeder ist willkommen.
Mit welchen Gefühlen blickt Ihr auf die Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Politik?
Hübers: Schon in gewisser Weise besorgt. Ich bin in einem Land und in einer Gesellschaft groß geworden, wo ich immer das machen konnte, worauf ich Lust hatte. Ich musste mich nie mit Vorurteilen oder Beleidigungen auseinandersetzen. Dieses Gefühl würde ich jedem wünschen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass es nicht mehr so ist. Es gibt mehr Hetze, mehr Populismus. Da ist der Trend gerade eher besorgniserregend.
Müller: Ich bin in einigen Freundesgruppen. So viel wie aktuell wurde noch nie über Politik gesprochen. Ich bin im sozialen Brennpunkt groß geworden, hatte wenig deutsche Freunde und war selbst eher Teil der Minderheit. Bei uns war es nie ein Thema, wo jemand herkommt. Ich würde mir wünschen, dass das immer so ist. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, dass wir aus unserer Bubble auch mal wieder aufwachen und uns wieder um Punkte kümmern wie den Umgang miteinander, denn der ist grauenvoll derzeit.
Hübers: Ich finde auch, dass man merkt, dass sich wieder mehr Leute mit den Themen Politik und Demokratie auseinandersetzen – was echt gut ist. Man merkt das auch bei uns in der Kabine. Das wird nie ein Debattierforum werden, aber so viel wie über die Wahl jetzt wurde über keine andere Wahl gesprochen. Deshalb ist es ein positiver Trend, dass Leute wieder dafür einstehen wollen, dass wir ein gutes Miteinander haben.
Deckt sich diese Erfahrung auch mit der Haie-Kabine?
Müller: Ja, bei uns wird auch debattiert. Wir haben vom Wahl-O-Mat bis zum Real-O-Mat alles durchgetestet. Viele Leute, die sich nie für Politik interessiert haben, oder junge Spieler konnte man damit heranführen. Das ist fast wie eine Nachhilfestunde und gut, wenn sie sich mit den Themen auseinandersetzen.
Info: Das Interview stammt aus der dritten Ausgabe des GeißbockEchos. Die ganze Ausgabe findet Ihr hier im geschlossenen Mitgliederbereich. Noch kein Mitglied? Hier gibt's alle Infos zur Mitgliedschaft.
Teil zwei des Interviews lest Ihr am Montag auf fc.de