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Wolff Fuss: „Plötzlich waren wir mitten in einer Tragödie“

28.2.2025

Es ist der 29. August 2008, der 1. FC Köln ist zum bislang vorletzten Mal zu Gast beim Karlsruher SC. In der 26. Minute bricht Kapitän Ümit Özat auf dem Platz zusammen, ist mehrere Minuten bewusstlos. Der FC gewinnt das Spiel, doch das interessiert an diesem Freitagabend niemanden im Karlsruher Wildpark. Auch nicht Wolff Fuss, selbst FC-Sympathisant und der Live-Kommentator des damaligen Spiels. Im Interview mit fc.de blickt Fuss auf die Partie und die Geschehnisse zurück. Er spricht aber auch über seinen Blick auf den FC, die 2. Bundesliga und das zurückliegende Pokal-Viertelfinale in Leverkusen, das er ebenfalls kommentiert hat.

Wolff, in Köln und im Rheinland läuft die Karnevalszeit. Wie sieht es in München im Hause Fuss mit der Karnevals-Begeisterung aus?

Wolff-Christoph Fuss: Die Kinder gehen hier auf jede Veranstaltung, die es in der Nähe gibt. Ich selbst muss mich aus zeitlichen Gründen etwas einschränken. Aber an Weiberfastnacht gibt es in München eine relativ große Veranstaltung von Exil-Kölnern. Bis auf die vergangenen beiden Jahre war ich da immer dabei – auch in diesem Jahr wieder.

Vor kurzem hast Du das rheinische Duell im DFB-Pokal-Viertelfinale des FC in Leverkusen kommentiert. Was für eine Kölner Mannschaft hast Du in diesem Spiel wahrgenommen?

Ich fand es das beste Spiel des 1. FC Köln in den letzten beiden Jahren. Das war auch nicht besonders schwierig, aber diese Vorstellung hätte das Weiterkommen verdient gehabt. Da steckte fußballerisch etwas drin, defensiv waren sie gut organisiert. Am Ende haben sie gegen den amtierenden Double-Sieger gespielt und da weißt du: Die Nachspielzeit gehört zwingend zum Spiel dazu. Ich kann die Kölner verstehen, wenn sie die acht Minuten Nachspielzeit hinterfragen, der grobe Rahmen hat aus meiner Sicht aber schon gestimmt. Wie es dann lief, war maximal unglücklich.

Du bist selbst FC-Sympathisant. Wie gehst Du damit um, wenn Du den FC kommentierst?

Ich kann das sehr gut trennen und bin im Job absolut neutral. Der FC ist der Club, der sich mich als Kind ausgesucht hat, die Sympathie ist da. Nichtsdestotrotz ist es im beruflichen Kontext oft vielleicht sogar so, dass ich noch kritischer mit den Kölnern umgehe als mit einem anderen Club in einer vergleichbaren Situation. In Leverkusen war es ein echter Pokalfight, da bringe ich dem FC genauso viel Respekt entgegen wie Bayer Leverkusen. Für die neutralen Zuschauer war es ein tolles Spiel, das macht den Pokal aus, wenn ein unterklassiger Club den Doublesieger am Rande des Ausscheidens hat.

Du sagst, der FC hat sich Dich als Kind ausgesucht. Inwiefern?

Ende der 70er war ich mit der Familie im Urlaub und wir haben einen Geldbeutel gefunden, der – wie sich später herausstellte – einem Funktionär des 1. FC Köln gehörte. Leider kann ich nicht mehr nachvollziehen, um wen es sich handelte. Zu dieser Zeit befand sich noch die komplette Reisekasse in bar in der Geldbörse. Der Funktionär hat sich so sehr darüber gefreut, dass wir den Geldbeutel zurückgegeben haben, dass er uns an dem Abend noch zum Essen eingeladen und mich im Nachgang vom Trikot bis zu Autogrammkarten und einer Fahne mit allem eingedeckt hat, was der Fanshop zu bieten hatte. Seine Frau arbeitete bei 4711 und sie haben meiner Mutter ein 5-Liter-Fässchen geschenkt. Ich glaube, das schmiert sie sich heute noch hinter die Ohren (lacht).

Der FC ist in der Liga vorne dabei, das Rennen ist aber sehr eng. Wie schätzt Du die Lage ein?

Ich bin da relativ entspannt. Die Kölner haben sich eine sehr gute Ausgangsposition verschafft, um aufzusteigen. Der Kölner ist per se optimistisch. Den Optimismus mancher Kölner nach dem siebten 1:0-Sieg habe ich nicht geteilt, dass es nun ein Selbstläufer wird und man durchmarschiert. Denn es ist ein schwieriges und total komplexes Jahr, für das es keine Vorlagen gibt. Dass ein Verein quasi mit seiner Abstiegsmannschaft den Aufstieg bauen muss, weil er den Transfersommer nicht für Neuerungen nutzen kann, das gab es noch nicht. Wer sich schon ein bisschen länger damit beschäftigt, weiß, wie schwierig es ist, im Wintertransferfenster noch Leute zu holen, die dem Kader wirklich weiterhelfen. Ich finde, es ist sehr gut gelungen, den Kader auf einzelnen Positionen noch mal zu erfrischen. Doch die 2. Liga hat für die großen Vereine ein großes Problem.

Welches meinst Du?

Die Unberechenbarkeit. Damit wird der FC Wochenende für Wochenende konfrontiert. Sie sind nun wieder in einer Phase, in der sie am Wochenende in Karlsruhe drei Punkte holen sollten, damit sich der Pulk da oben nicht noch weiter zusammenschiebt. Aber grundsätzlich glaube ich, dass die Voraussetzungen für den direkten Wiederaufstieg des 1. FC Köln absolut gegeben sind.

Was sagt Dein FC- und auch Kommentatoren-Herz, dass der FC seine sehr offensive Spielweise zu Saisonbeginn ein Stück weit ändern musste, um am Ende die nötigen Ergebnisse einzufahren?

Das gehört zum Zweitliga-Fußball dazu. Du gewinnst in dieser Liga keinen Schönheitspreis. Du musst deine Spielweise anpassen und es spricht absolut für den Trainer Gerhard Struber, der das als Liga-Novize relativ schnell erkannt hat und dann auch ein Stück weit von seinen Grundprinzipien weggegangen ist, um ergebnisorientierter zu spielen. Es geht in der 2. Liga nicht in erster Linie um die individuelle Qualität oder große taktische Innovation. In der 2. Liga geht es darum, Spiele zu gewinnen. Diesen Turnaround hin zu mehr Zweckmäßigkeit haben sie im Laufe der Hinrunde geschafft, taktisch ein bisschen etwas angepasst und deutlich klarer gespielt. Dadurch war es nicht mehr ganz so spektakulär, aber am Ende will dieser Club ja aufsteigen.

Als Topspiel-Kommentator der Bundesliga ist die 2. Liga nicht zwingend dein Terrain. Wie intensiv verfolgst du diese Liga dennoch?

Ich gucke sehr viel 2. Bundesliga, weil viele Vereine und Protagonisten dabei sind, die mich total interessieren. Der FC natürlich, aber auch der HSV, Schalke oder der KSC beispielsweise. Ich schaue gerne, was Magdeburg macht und wie Paderborn mit einer sehr individuellen Herangehensweise versucht zum Erfolg zu kommen.

Du zählst die Vereine auf, die diese 2. Liga so attraktiv machen. Was fehlt denn andererseits der Bundesliga ohne den FC und andere große Traditionsvereine?

Schon ein Stück weit die Wucht. Ich habe gar nicht das Gefühl, dass kleinere Clubs den sogenannten Traditionsclubs irgendetwas weggenommen haben, denn sie schaffen es, mit teilweise deutlich geringeren Mitteln konkurrenzfähiger zu sein. Aber du merkst schon, dass manchen Bundesliga-Duellen ein bisschen das Interesse fehlt. Holstein Kiel gegen St. Pauli ist kein Straßenfeger, während Köln gegen Schalke die Fußballfans bundesweit interessiert. Das macht den Reiz dieser 2. Liga aus. Auch Heidenheim gegen St. Pauli hat seinen Charme, ist aber eher ein regionales Großereignis.

Wie hoch schätzt Du denn die Wahrscheinlichkeit ein, dass der FC in der kommenden Saison wieder Teil der Bundesliga-Topspiele ist?

Ob es dann gleich die Topspiele sind, weiß ich nicht (lacht). Aber ich glaube, dass wieder das eine oder andere um 15.30 Uhr am Samstag und ab und an auch eines um 18.30 Uhr stattfindet – also wieder zu den gewohnten Zeiten.

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Auf dem Weg dorthin, Du hast es bereits angesprochen, wären am Samstag drei Punkte in Karlsruhe hilfreich. Du hast das vorletzte FC-Gastspiel im Wildpark kommentiert. Vor 17 Jahren, es war ein tragischer Tag. Welche Erinnerungen hast Du daran?

Ich weiß noch, dass es ein schwüler Sommertag war, ein ausverkaufter alter Wildpark, Freitagabend. Christoph Daum war Trainer beim 1. FC Köln und Ede Becker beim KSC. Im Nachgang betrachtet war es das wichtigste, eindrucksvollste und nachhaltigste Spiel meiner beruflichen Laufbahn.

Warum?

Es hat mir und sehr, sehr vielen anderen eindrucksvoll vor Augen geführt, dass Fußball bestenfalls die schönste Nebensache der Welt ist und dass sich jeder glücklich schätzen konnte, für den es in diesem Moment das Wichtigste auf der Welt ist.

Es läuft die 26. Minute, als FC-Profi Ümit Özat zusammenbricht. Hast Du den Moment noch vor Augen?

Das „Problem“ war, dass es abseits des Balles passiert ist und man als Kommentator bestenfalls die Augen immer auf Ballhöhe hat. Auf einmal stoppte das Spiel und du siehst, wie ein Kölner am Boden liegt. Ich habe relativ schnell realisiert, dass es Ümüt Özat war, und habe mir nach den ersten Zeitlupenbildern gedacht: um Himmels Willen. Winfried Schäfer saß in der verlängerten Reihe neben mir, hat mich angeguckt und hat die Hände vors Gesicht geschlagen. Er hatte als Nationaltrainer Kameruns seinen Spieler Marc-Vivien Foé auf dem Platz verloren und ihm war in dem Moment sofort klar, was hier passiert ist. Spätestens jetzt war klar, es geht hier um Leben und Tod.

Wie ging es weiter?

Es sind Sanitäter und Betreuer beider Clubs auf den Platz gelaufen und man sah, wie Spieler die Hände vors Gesicht schlagen. Das Spiel war unterbrochen. Es dauerte und man hat gemerkt, wie sich bei den Zuschauern die Stimmung schlagartig änderte. Unter den Eindrücken des Gesehenen in Kombination mit den klimatischen Bedingungen sind auch einige Zuschauer auf den Rängen zusammengebrochen und mussten notärztlich versorgt werden. Notarztwagen fuhren ins Stadion. Es war eine ganz, ganz furchtbare Situation.

Du warst menschlich sicherlich selbst bewegt, gleichzeitig galt es professionell den Kommentar durchzuziehen…

Wir haben uns entschieden auf Nahaufnahmen und weitere Zeitlupen zu verzichten. Ich habe mir das im Nachgang nie wieder angeschaut und kann gar nicht mehr sagen, was ich damals in der Situation gesagt habe. Es spricht einfach aus einem heraus, dafür gibt es ja kein Drehbuch. Ich könnte nicht mehr sagen, inwieweit mir das gelungen ist. Ich war für einen grandiosen Fußballabend angereist, aber plötzlich befanden wir uns mitten in einer Tragödie. Jahre später hatte ich aber eine Begegnung.

Erzähl gerne davon.

Ich war in der Türkei, als plötzlich ein Mann auf mich zukam. Ein Deutsch-Türke, wie sich herausstellte. Als er mich sah, bekam er Tränen in den Augen, hat mich umarmt und mir gesagt: Wie Du das damals gemacht hast mit Ümit Özat, das war ganz großartig. Das ist bis heute das größte Kompliment, das ich jemals im Zusammenhang mit meinem Beruf bekommen habe.

Das Spiel in Karlsruhe war mit dem Vorfall aber nicht vorbei. Wie ging es weiter?

Ümit Özat wurde abtransportiert und es hieß, er sei stabil und ansprechbar. Der Stadionsprecher des KSC war telefonisch mit seiner Frau verbunden, die unsere Übertragung damals noch bei Premiere zu Hause schaute und ihm weitergab: Der Premiere-Kommentator hat gerade gesagt, der Zustand von Ümit Özat sei stabil und er sei ansprechbar. Das hat der Stadionsprecher zum Anlass genommen, diese Info über die Lautsprecher im Wildpark zu verkünden und es brandete Jubel aus unter den Zuschauern. Daraufhin sagte ich im Kommentar: Jetzt bestätigt es auch der Stadionsprecher. Das war völlig skurril und ein totales Durcheinander.

Dann ging es um die Frage, ob das Spiel fortgesetzt werden sollte.

Daran kann ich mich erinnern, dass ich sagte: Freunde, ihr könnt jetzt hier nicht ernsthaft das Spiel weiterlaufen lassen. Hier kämpft ein Mensch um sein Leben, wir können hier nicht Fußball spielen und so tun, als ob die Welt aus 1:0, 2:0 oder 2:1 besteht. Das Spiel war in diesem Moment völlig unwichtig. Ümit Özat wurde in der Zwischenzeit ins Krankenhaus gefahren und – wenn ich mich richtig erinnere – wurde das Spiel auf polizeiliche Empfehlung hin fortgeführt. Am Ende hat der FC 2:0 gewonnen. Es war das einzige Spiel in meinem Leben, bei dem ich keine Lust mehr hatte ein Fußballspiel zu kommentieren. Ich wollte einfach nur nach Hause und hoffen, dass Ümit diesen Abend überlebt.

War das Spiel damit auch das schwerste Deiner bisherigen Kommentatoren-Laufbahn?

Das eindrucksvollste auf jeden Fall. Wie vorhin gesagt, wurde dir knallhart vor Augen geführt, dass Fußball nicht das Wichtigste ist, sondern es ganz viele andere Dinge gibt, die wesentlich wichtiger sind als zweimal 45 Minuten Elf gegen Elf.

Nun kommt es am Samstagabend wieder zum Aufeinandertreffen der beiden Clubs im neuen Wildpark. Was für ein Spiel erwartest Du?

Der KSC ist ein brutal schwieriger Gegner. Mit Budu Zivzivadze haben sie ihren besten Stürmer nach Heidenheim abgegeben, dadurch wird der Weg in den Kreis der Aufsteiger wahrscheinlich zu weit sein. Aber man hat schon im Hinspiel gesehen, was sie zu leisten im Stande sind, selbst wenn sie nach 15 Minuten 0:3 zurückliegen – und zuvor eine verschärfte Laufeinheit auf der Aachener Straße hinter sich haben. Dementsprechend wird es eine super schwierige Aufgabe. Für den FC ist es nichts Neues, sie gehen als Favorit ins Spiel und in der momentanen Konstellation würde es Köln gut zu Gesicht stehen, wenn wie wieder einmal die drei Punkte einfahren würden.