FC, Chicago, Kiel – Rafael Czichos im Interview
Im Januar 2022 hat Rafael Czichos den 1. FC Köln nach dreieinhalb Jahren in Richtung USA verlassen, wo er bis zuletzt für Chicago Fire in der Major League Soccer (MLS) aktiv war. Die Saison in den USA ist seit kurzem beendet. Das und das anstehende Pokalspiel seiner beiden Ex-Clubs 1. FC Köln und Holstein Kiel sind Grund genug, einmal beim Verteidiger anzurufen.
Rafa, wir würden das Interview gerne mit einem Datum starten, dem 29. Mai 2021.
Rafael Czichos: Das müsste der Tag des Relegationsrückspiels gegen Holstein Kiel gewesen sein.
Absolut richtig. Welche Erinnerungen hast Du noch an diesen Tag?
Pure Emotion. Der Druck vorher war immens. Gerade wenn du beim FC spielst, ist der mediale Druck und der Druck aus der ganzen Stadt ohnehin immer relativ hoch. Dann hatten wir das Hinspiel auch noch verloren, standen also mit dem Rücken zur Wand und kurz vor einem Abstieg. Als wir es dann noch gedreht und den Klassenerhalt geschafft hatten, hat sich gezeigt, wie wichtig das war – für uns als Mannschaft, den ganzen Verein und die Stadt. Ich war einfach nur froh und erleichtert, als wir es über die Ziellinie gebracht hatten.
Du hast selbst mit dem Treffer zum 4:1 Deinen Beitrag zum Sieg geleistet. Ein schönes Tor, das in der Karriere als Verteidiger wohl nicht allzu oft vorkommt.
(lacht) Das stimmt. Ich habe das Tor tatsächlich erst vergangene Woche wieder von jemandem zugeschickt bekommen mit dem Text: Damit du noch mal was zum Grinsen hast. Ich schaue mir das Tor immer gerne mal an, es war sicher eines meiner schönsten im Profibereich und das dann noch in einem so wichtigen Spiel.
Das Spiel war erst abends. Habt Ihr über den Tag etwas besonders gemacht?
Nein, der Ablauf war der gleiche wie bei jedem anderen Auswärtsspiel. Nur der Druck war natürlich ein anderer. Es war für den ganzen Club einfach ein ganz wichtiges Spiel. Wir haben es gut geschafft, diesen Druck in Energie umzuwandeln.
Was hat die Mannschaft damals ausgezeichnet, damit sie dem Druck standhalten konnte?
Es sah zwischenzeitlich ja relativ schlecht aus und es haben nicht mehr viele damit gerechnet, dass wir überhaupt noch in die Relegation kommen. Die Mannschaft hat aber einfach bis zum Ende gebissen. Wenn du ein Relegationshinspiel zu Hause mit 0:1 verlierst – viel schlechter kann die Situation für dich ja nicht mehr aussehen. Wir haben uns dann als Mannschaft zusammengerauft und haben an uns geglaubt.
Was hat Euch diesen Glauben vermittelt?
Wir haben uns gesagt, dass wir nicht umsonst der Bundesligist sind. Wir hatten uns davor aus der brisanten Lage in der Liga schon ein bisschen rausgekämpft. Der Glaube an unsere eigene Qualität war immer da und das haben wir in Kiel auch von der ersten Minute an gezeigt.
Drei Jahre zuvor standest Du auch in der Relegation – damals für Kiel gegen den VfL Wolfsburg. Bist Du ein Spieler, der es mag, wenn es in Spielen um alles geht?
Grundsätzlich finde ich die Relegation eher unfair. Wir hatten mit Kiel damals zum Beispiel als Aufsteiger eine sehr gute Zweitliga-Saison gespielt und wurden dann am Ende nicht belohnt, obwohl wir es verdient gehabt hätten. Wenn du als Underdog aus der 2. Bundesliga antrittst, ist die Ausgangslage natürlich eine andere. Wir hatten nicht den großen Druck wie drei Jahre später mit Köln. Aber ich mag solch wichtige Spiele. Das sind Spiele, auf die man am Ende seiner Karriere zurückschaut.
Von der 3. Liga fast bis in die Bundesliga durchmarschiert – was hat Deine Zeit in Kiel besonders gemacht?
Der Zusammenhalt im ganzen Verein. Holstein Kiel ist schon ein sehr eigener Verein. Ich würde fast sagen, in manchen Aspekten das komplette Gegenteil vom FC. Es ist alles sehr ruhig und gediegen. Jeder kennt seine Rolle, seit Jahren sind mehr oder weniger die gleichen Personen am Werk und es herrscht ein ungemeines Vertrauen in jede einzelne Person. Als Spieler ist es eine sehr angenehme Umgebung, um seine Leistung abzurufen. Mit der Mannschaft und dem Trainerteam hatten wir damals zusätzlich ein Gesamtpaket, das einfach sehr gut funktioniert hat und mit dem es sehr viel Spaß gemacht hat.
Nach dem verpassten Aufstieg in der Relegation ging es für Dich nach Köln, mit dem FC bist Du ein Jahr später in die Bundesliga aufgestiegen. Verspätete Wiedergutmachung?
Ich bin damals schon mit dem klaren Gedanken zum FC gekommen, dass wir aufsteigen müssen. Dazu muss man sich nur den damaligen Kader anschauen. Wir hatten im Sturm Simon Terodde und Jhon Cordoba – das war für Zweitliga-Verhältnisse natürlich unfassbar gut.
Die Verteidigung, unter anderem mit Dir, war auch nicht so schlecht…
(lacht) Der Blick von außen geht natürlich immer vor allem auf die Offensive. Aber natürlich hatten wir auch noch weitere absolute Top-Spieler wie Jonas Hector, Timo Horn oder Marco Höger im Team. Ich weiß nicht, ob es einmal einen besseren Kader in der 2. Bundesliga gegeben hat.
Qualität alleine ist aber keine Garantie für einen Aufstieg.
Man sieht an Vereinen wie dem HSV, Schalke oder Hertha, dass es nicht einfach ist, den direkten Wiederaufstieg zu schaffen. Deshalb war es gut, dass wir es damals geschafft haben, auch wenn es sich viele Kölner wahrscheinlich noch souveräner gewünscht hätten. Ich war einfach froh, dass wir es geschafft haben und ich dadurch dann auch endlich zum Bundesligaspieler geworden bin. Dafür bin ich bis heute dankbar.
Was hat die FC-Zeit für Dich neben dem Bundesliga-Aufstieg besonders gemacht?
Ich habe durchweg nur positive Erinnerungen. Es war natürlich auch sehr stressig, weil beim FC viel Druck und eine hohe Erwartungshaltung herrschen. Das ist etwas, das dich unheimlich tragen kann, das aber auch drücken kann. Ich habe immer versucht, mein Bestes für den Club und die Stadt zu geben. Meine Familie und ich haben uns auch privat hier sehr wohlgefühlt.
Am Dienstagabend treffen im DFB-Pokal mit dem FC und Holstein Kiel zwei Deiner Ex-Clubs aufeinander. Für beide hast Du kurioserweise exakt 111 Pflichtspiele bestritten. Weißt Du schon, ob und wie Du das Spiel verfolgen wirst?
Bei uns ist die Saison vorbei, deshalb habe ich relativ viel Zeit und werde es auf jeden Fall schauen. Wahrscheinlich ganz entspannt mit meinem Sohn und meiner Frau zu Hause auf der Couch. Ich habe zur Familie schon gesagt, dass ich bei diesem Spiel ja gar nicht verlieren kann (lacht).
Was für ein Spiel erwartest Du?
Als Bundesligist ist Holstein Kiel auf dem Papier der Favorit. Aber ich glaube, dass es ein Spiel auf Augenhöhe und für beide Teams auch ein Stück weit richtungsweisend sein wird. Im Pokal kannst du dir das nötige Selbstvertrauen holen, um dann auch in der Liga den Turnaround zu schaffen. Der FC hatte zuletzt zwei Dämpfer, was sicherlich schmerzt. Aber ich hoffe, dass die Fans im Pokalspiel wieder hinter der Mannschaft stehen und die Jungs anpeitschen, sodass es in Energie und Kraft umgemünzt werden kann und nicht in Druck und Nervosität.
Wie verfolgst Du allgemein den deutschen Fußball aus der Ferne? Stellst Du Dir aufgrund der Zeitverschiebung auch einmal früh den Wecker, wenn der FC beispielsweise ein Spiel um 13 Uhr mittags hat?
Ich bin ohnehin ein Frühaufsteher, aber leider wird bei uns immer nur das Topspiel der 2. Bundesliga übertragen. Da ist der FC oft dabei und dann schaue ich mir die Spiele auch an. Meine Eltern gucken aber jedes Spiel und halten mich immer auf dem neuesten Stand. Ich verfolge es schon noch intensiv, was in Köln passiert und das wird auch immer so bleiben.
Vor knapp drei Jahren bist du vom FC nach Chicago in die MLS gewechselt. Was waren die größten Umstellungen für Dich?
Alles, angefangen vom privaten Leben, wobei wir uns hier sehr wohlfühlen. Auch der Fußball ist anders, es wird ein anderer Fokus gelegt, die Abläufe sind ganz anders. Alleine die langen Reisen, die du in Deutschland so nicht hast. Hier fliegst du zu jedem Spiel mindestens zwei Stunden, manchmal auch viereinhalb bis an die Westküste. Dazu kommen Zeit- und Wetterunterschiede. Das sind alles Faktoren, die man in Deutschland nicht hat. Es ist eine super Erfahrung für mich und ich möchte die letzten drei Jahre überhaupt nicht missen. Sportlich lief es nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Für mich persönlich war positiv, dass ich fast jedes Spiel bestreiten konnte, als Mannschaft haben wir es aber leider nicht hinbekommen, die Spiele konstant erfolgreich zu gestalten.
Wie ist das Niveau im Vergleich zum deutschen Fußball?
Diese Frage bekomme ich häufiger gestellt, man kann sie aber nicht so einfach beantworten. In der MLS liegt der Fokus sehr auf der Athletik, fast alle Spieler sind Sprinter und Zweikämpfer, es ist alles körperlicher ausgelegt. Die Bundesliga ist taktisch deutlich voraus. So hat jede Liga ihre Besonderheiten und ich vergleiche das Niveau ungerne. Hier wird deutlich mehr im athletischen Bereich gearbeitet als ich es in Deutschland gewohnt war. Die Trainingsvorbereitung beginnt eineinhalb Stunden vorher. Du machst dreimal pro Woche Krafttraining, dazu Sprinttraining. Und dann ist die MLS die Liga der Regeln.
Wie meinst Du das?
Hier wird alles vorgeschrieben. Zum Beispiel, dass man nur einmal am Tag trainieren darf oder wann man den Platz betreten darf.
Merkt man durch immer prominentere Namen wie nicht zuletzt Lionel Messi, dass die Liga zunehmend an Bedeutung gewinnt?
Ich denke schon. Viele ehemalige Teamkollegen schreiben mir und fragen mich, wie ich in die MLS gekommen bin und dass sie sich das auch vorstellen könnten. Das Interesse an dem Markt steigert sich durch Namen wie Messi, Luis Suarez oder Marco Reus. Aber der Fußball wird unabhängig davon in den Staaten deutlich größer und ich erwarte auch noch einen weiteren Riesenschub. Mit der WM 2026 vor Augen sieht man schon jetzt, wie viele Kinder hier Fußball spielen, das hat sich sehr gewandelt. Die Fußballvereine sind alle voll.
Chicago Fire hat inzwischen bekannt gegeben, dass Du den Verein nach drei Saisons verlässt. Weißt Du schon, wo es für Dich weitergeht?
Das ist noch komplett offen. Wie bereits erwähnt, fühlen wir uns in diesem Land und in dieser Kultur sehr wohl und ich würde gerne auch in der Liga bleiben, weil sie immer interessanter wird. Aber wenn das Gesamtpaket woanders genauso gut ist, sind wir als Familie auch offen dafür. Am Ende des Tages entscheiden wir das zusammen. Ich bin mir sicher, dass ich noch zwei Jahre sehr gut im Tank habe.
Kannst Du Dir auch vorstellen, über die Karriere hinaus in den USA zu bleiben?
Ich bin grundsätzlich so eingestellt, niemals nie zu sagen. Wenn sich hier eine Perspektive auftut, die für mich und meine Familie passt, kann ich mir sehr gut vorstellen, auch hier zu bleiben.