„Messi hat mich auf den Boden der Tatsachen geholt“
8 Uhr morgens in Salt Lake City. Noel Caliskan ist hellwach, als er den Anruf für sein erstes FC-Interview entgegennimmt. Vielleicht, weil der ehemalige Nachwuchsspieler es gewohnt ist, aufgrund der Zeitverschiebung früh für die Bundesligaspiele des FC aufzustehen – wie Noel uns später verrät. Genau eine Woche nach seinem Debüt für die MLS-Franchise Real Salt Lake gegen das mit Stars bespickte Inter Miami haben wir mit Noel Caliskan über seinen Karriereweg in Amerika, das Debüt gegen Messi und Co. sowie seine FC-Verbundenheit gesprochen.
Hallo Noel, herzlichen Glückwunsch zu Deinem Debüt für Real Salt Like. 17 Minuten durftest Du gegen Inter Miami und Lionel Messi ran. Es gibt schlechtere Debüts, oder?
„Ja, auf jeden Fall. Ich hätte auch niemals gedacht, dass mich der Trainer wirklich spielen lässt. Eine wirklich unglaubliche Geschichte. Wer kann schon sagen, dass er bei seinem ersten Spiel für den Verein gegen ‘das ehemalige Barcelona’ um Messi, Suarez, Busquets und Co. gespielt hat.“
Was ist das für ein Gefühl, gegen diese Stars um Messi und Co. in seinem ersten Spiel für seinen neuen Verein gespielt zu haben?
„Das ist eine Geschichte, die wird man für immer im Kopf haben. Das wird bestimmt nach der Karriere eine Story, die ich immer mit als erstes erzähle. Das ist ein super Gefühl gewesen. Ich habe gegen einige Spieler der wahrscheinlich besten Barcelona-Mannschaft jemals zum Ende ihrer Karriere gespielt. Ich war selber ein großer Fan und dann stehe ich neben Suarez und Messi auf dem Platz. Darauf bin ich schon sehr stolz.“
Was war für Dich bedeutsamer: das Debüt oder das direkte Duell gegen Lionel Messi?
„Schwierig zu sagen. Meine Einwechslung war schon unglaublich. Meine Freundin, die auch im Stadion war, hat nach dem Spiel zu mir gesagt, dass sie niemals gedacht hätte, dass ich gegen Messi spiele und auch direkte Duelle gegen ihn habe. Ich wollte mich natürlich auf unser Spiel fokussieren, es war aber auch besonders, Messi wenige Meter von mir entfernt zu beobachten.“
Wie war das, Messi aus nächster Nähe zu sehen und welche Situationen sind Dir in Erinnerung geblieben?
„Es ist ja bekannt, dass Messi sich nicht mehr in die Defensivarbeit miteinschaltet. Weil wir Miami in der Schlussphase auch stark hinten reingedrückt haben, ist er viel vor mir im Mittelfeld hin- und her geschlendert. Sobald seine Mitspieler aber den Ball erobert hatten, wurde er sofort angespielt und auch unter Druck war er einfach nicht einzufangen.“
Du hattest ja auch ein paar direkte Duelle gegen ihn. Wie ist es, Messi in einem Zweikampf zu begegnen?
„Ich muss offen zugeben, dass Messi mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat. Ich hätte nicht erwartet, dass er mit 36 Jahren noch so spritzig und schnell ist. Da habe ich mir auf dem Platz nur gedacht: Halleluja. Wir haben uns natürlich auf ihn und auf die auf Messi zugeschnittene Taktik von Miami vorbereitet. Aber er wurde auch in den größten Drucksituationen angespielt und hat es immer gelöst bekommen. Aber dass er mit Ball so viel schneller ist, hätte ich nicht gedacht. Ich habe versucht ihn zu halten und zu foulen, aber er hat eine unfassbare Balance gehabt. Ich habe einfach versucht immer hellwach zu bleiben und ihn von unserem Tor wegzuhalten.“
Ist Messi ruhig auf dem Platz oder hast Du durch Trashtalk vielleicht versucht, ihn aus dem Konzept zu bringen?
„Er war tatsächlich total ruhig und hat in dem Spiel nur ein paar Kommandos gegeben. Er hat nicht geredet und ich habe dann auch nicht versucht ihn zu bequatschen. Das war mit die am meisten gestellte Frage von meinen Freunden. Aber ich war da schon sehr respektvoll.“
Wie viele Nachrichten hast Du von Freunden und Familie nach diesem besonderen Spiel erhalten? Wie waren die Reaktion?
„Es waren so viele Nachrichten, dass ich mein Handy am nächsten Tag wirklich bewusst weggelegt habe. Über alle Kanäle haben mich meine Leute mit Nachrichten ‘bombardiert’. Alle wollten natürlich wissen, wie es war und ein paar unqualifizierte Tipps, wie ich Messi hätte besser aufhalten sollen, waren natürlich auch dabei.“ (lacht)
Hast Du versucht an das Trikot von Messi heranzukommen?
„Nein, das hat sich ein älterer Spieler aus meiner Mannschaft geschnappt. Ich hatte eigentlich vor, mir mit Busquets das Trikot zu tauschen. Aber er wurde ausgewechselt und nach dem Spiel habe ich ihn nicht mehr gesehen. Schade, aber die Erinnerungen bleiben ja trotzdem.“
Du bist erst diesen Winter von Portland nach Salt Lake gewechselt und hattest vor dem Spiel keinen Vertrag in der ersten Mannschaft von Real Salt Lake, richtig?
„Genau, ich bin von Portland zur zweiten Mannschaft von Real Salt Lake City gewechselt, weil ich nach der Uni ohne Greencard nach den Regelungen der Liga MLS weiterhin als Ausländer gelte. Die Regeln sehen es vor, dass es nur acht Kaderplätze für Nicht-Amerikaner in der ersten Mannschaft gibt. Ich habe dann in Portland dank einer Ausnahmeregelung schon viermal MLS-Luft schnuppern dürfen. Auch hier bei Real Salt Lake warte ich darauf, dass einige meiner internationalen Teamkollegen ihre Greencard erhalten, damit ich einen der acht internationalen Kaderplätze bekomme.“
Wie kam es dann überhaupt zu dem Einsatz?
„Der Trainer hat mir schon in der Vorbereitung gesagt, dass ich einen guten Eindruck mache. Und deswegen wurde ich auch für den ersten und zweiten Spieltag mit der Ausnahmeregel dieser Vier-Tages-Leihe hochgezogen. Von diesen Leihen habe ich jetzt auch nur noch zwei übrig. Die MLS ist eine sehr komplizierte Liga mit vielen Regeln.“
Das klingt nach einem engen zeitlichen Ablauf. Wie kurzfristig hast Du vor dem Spiel erfahren, dass Du mit nach Miami fliegen darfst?
„Wir haben vergangenen Mittwoch gegen Miami gespielt und sind am Montag geflogen. Am Sonntag vor dem Abflug hat mich dann der Sportdirektor von Real Salt Lake in sein Büro geholt und meinte, ich müsse etwas unterschreiben. Ohne nachzufragen, wusste ich, um was für ein Dokument es sich handelt und ich habe sofort unterschrieben.“
Was war Deine ersten Gedanken, als Du von deiner Kadernominierung erfahren hast?
„Das war total krass. Ich meine, jeder möchte im ersten Spiel gegen Miami spielen, weil alle Stars noch fit sind und zum Showauflaufen des ersten Spieltags der MLS da sein werden. Es war also auch klar, dass Messi spielen würde.“
Du bist seit Januar in Salt Lake City. Was hast Du Dir von diesem Wechsel erhofft nach etwas mehr als einem Jahr in Portland nach Deiner Collegezeit?
„Ich möchte dauerhaft in der ersten Mannschaft spielen. Ich brauche den Männer-Fußball der MLS, auch wenn die MLS Next Pro für meine Entwicklung gut war. Ich warte jetzt meine Vertragssituation und die meiner Mitspieler ab und hoffe, sehr bald ein fester Bestandteil in der ersten Mannschaft zu werden.“
Wie kam Dein Umzug in die USA damals eigentlich zustande?
„Für mich stand fest, dass ich nach der U17 keine Perspektive mehr beim FC habe. Die Idee, mit einem Stipendium in den USA zu spielen, stand tatsächlich schon länger im Raum. Ich musste ich aber erst mein Abitur machen und bin dann den - für einen geborenen FC-Fan, der ich bin - unliebsamen Schritt nach Düsseldorf gegangen. Ich brauchte Spielpraxis und wollte in der Nähe der Heimat bleiben. Das musste ich aber auch erstmal meiner Familie erklären (lacht). Ich wollte dann unbedingt ans College und bisher hat es sich mit dem Leben in Amerika und auch mit dem Fußball total ausgezahlt. Das war die beste Entscheidung für mich.“
Du bist in der U12 zum FC gekommen und bist bis zur U17 geblieben. Was verbindest Du noch mit dem FC?
„Ich weiß noch, wie ich mit Florian Wirtz zusammen von Grün-Weiß Brauweiler zum 1. FC Köln gewechselt bin. Ich verbinde so viel mit dem Verein. Das hat sich bis jetzt wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen. Die Bundesliga läuft immer, wenn ich in den USA morgens aufstehe. In Portland sogar schon um 6:30 Uhr morgens. Ich schaue fast alle FC-Spiele und stehe dafür auch früher auf. Ich stand früher selber in S3 und in S4 im Block und meine Jungs sind auch immer noch jedes Spiel in der Kurve.“
Hast Du vor, in Deiner Karriere auch nochmal Deutschland zu kicken?
Ja, zu 100 Prozent. Am liebsten natürlich beim FC, aber das wird natürlich schwierig. Ich bin aber Fußball-Romantiker und würde es niemals ausschließen. Wer weiß schon, wie meine Karriere noch verläuft. Aber der Sprung von der MLS in die 1. Bundesliga ist natürlich riesig. Aber in einer coolen Mannschaft in Deutschland oder auch in Belgien oder den Niederlanden zu spielen, könnte ich mir schon vorstellen. Dann könnte ich wieder in der Nähe meiner Familie leben.“
Bist Du noch ab und zu in Deutschland oder kommt Deine Familie Dich zwischendurch besuchen?
„Mein Papa hat sich tatsächlich direkt am Montag in den Flieger gesetzt, als er erfahren hat, dass ich in Miami im Kader bin. Das ist schon besonders, aber das wollte er sich nicht nehmen lassen. Ansonsten ist es natürlich schwierig mit der Distanz. Ich schaffe es seit der Collegezeit leider nur noch einmal im Jahr nach Deutschland zu kommen. Dafür dann aber auch für längere Zeit. Beim nächsten Mal möchte ich auch wieder mit meinen Jungs zum FC-Spiel.“
Das Gespräch führte Moritz Zinken