Sport & Schule: Ein Tag im Sportinternat
Den Sport und die Schule optimal verbinden – das ermöglicht das Kölner Sportinternat. Hamed Cherif (16) und Smilla Bienert (14) sind zwei der Bewohner. Das GeißbockEcho hat sie in ihrem Alltag begleitet.
6:00 Uhr
Der Wecker klingelt. Jeden Morgen. Obwohl es noch knapp zwei Stunden bis zum Unterrichtsbeginn sind, wacht Hamed Cherif auf. Der Jugendfußballer aus der U17 des 1. FC Köln hat feste Routinen. Er duscht kurz und widmet sich dann seinem Glauben. Er liest in einem Buch, das auf dem Nachttisch seines Zimmers im Kölner Sportinternat steht. Dann betet der Muslim. Erst dann geht es zum Frühstück. Seit eineinhalb Jahren lebt der großgewachsene 16-Jährige aus Sindorf (Kerpen), der seit der U12 beim FC spielt, im Internat.
7:55 Uhr
Die Schule beginnt. Den Weg vom Sportinternat zur Gesamtschule Lindenthal legt Cherif mit seinen Schulkameraden meist zu Fuß zurück. Smilla Bienert geht auf dieselbe Schule. Sie ist 14 und seit diesem Schuljahr neu auf dem Sportinternat. Als die Anfrage des 1. FC Köln kam, ob sie sich den Wechsel vorstellen könnte, musste sie schon ein wenig überlegen. Alleine weg von der Familie, die im rund eine halbe Stunde entfernten Grevenbroich lebt? Am Ende entschied sie sich für das Sportinternat. „Hier lassen sich Schule und Fußball besser verbinden. Zudem werde ich auch selbstständiger.“
Für sie war es anfangs eine völlig neue Welt. „Ich war erst einmal schüchtern, weil ich niemanden kannte. Das ist aber schon viel besser geworden“, sagt sie. Auch das Heimweh. „Natürlich vermisse ich meine Eltern und Geschwister sehr, aber durch die Nähe kann ich sie auch oft sehen.“
Smilla Bienert ist eine von 51 Bewohnern im Sportinternat – und eine der Jüngsten, denn Sportlerinnen und Sportler werden erst ab 14 Jahren aufgenommen. Bei der Eröffnung 2011 waren es noch rund 30 Bewohner insgesamt, aktuell haben fünf Spielerinnen und 20 Jugendspieler des 1. FC Köln einen Platz. Dazu kommen 20 Plätze für den Olympiastützpunkt Rheinland und sechs Plätze für die Kölner Haie. Am weitesten weg von seiner Heimat lebt derzeit Jaka Cuber Potocnik, der Stürmer aus Slowenien ist mittlerweile schon Teil der FC-Profis. Die anderen Bewohner kommen aus ganz Deutschland, viele Eishockey-Spieler kommen vor allem aus dem bayerischen Raum. Neben dem FC wird das Sportinternat vor allem auch durch die NRW-Sportförderung und die Internatsbeiträge finanziert.
11:00 Uhr
Während die Sportler in der Schule sind, sitzt Nico Wagner im Sportinternat am Schreibtisch. Er ist seit eineinhalb Jahren fest angestellter Pädagoge und war zuvor bereits drei Jahre während seines Studiums im Nacht- und Wochenenddienst im Sportinternat tätig. „Für mich war es immer ein Ort, an dem man sich direkt zu Hause gefühlt hat, die Atmosphäre war immer total familiär“, sagt er.
Für die Pädagogen steht im Alltag vor allem Bindungs- und Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen im Vordergrund. „Es ist ein schmaler Grat zwischen Kumpel und Elternersatz. Man will sich mit den Jugendlichen gut verstehen, muss aber auch klare Grenzen setzen“, sagt Wagner. Im Sportinternat gilt dabei der Grundsatz, dass es zwar weniger Regeln gibt, diese aber konsequent eingehalten werden. „Man muss auf jeden individuell eingehen, jeder ist anders. Der eine braucht mehr Aufmerksamkeit, der andere ist lieber alleine und hat seine Ruhe.“
13:05 Uhr
Für Smilla Bienert ist die Schule für heute vorbei, sie hatte früher Unterrichtsschluss als geplant, weil Stunden am Nachmittag ausgefallen sind. Sie macht sich auf den Weg zurück ins Sportinternat, wo im Erdgeschoss bereits reges Treiben herrscht. Manche sind auf ihren Zimmern, die meisten von ihnen sitzen gerade beim Mittagessen zusammen. Beim Essen wird am Sportinternat sehr auf Qualität geachtet mit einem Biometzger, der Fleisch- und Wurstwaren liefert und regionalen Bauern, die Gemüse und Obst bringen. Zwei festangestellte Köche versorgen die Jugendlichen mittags und abends mit warmem Essen. Das Thema Ernährung spielt im Leistungssport eine wichtige Rolle und kann die letzten Prozentpunkte in der Leistungsfähigkeit herauskitzeln.
Essenszeit ist für die Pädagogen auch die Zeit, um mit den Bewohnern zu sprechen. „Man isst mit ihnen gemeinsam, fragt nach ihren Sorgen und Nöten und stärkt die Bindung“, sagt Nico Wagner. „Unser Anspruch ist, dass wir mit jedem mindestens einmal die Woche mindestens zehn bis 15 Minuten quatschen. Dafür sind die Essenszeiten die besten Zeiten, weil sie sonst viel unterwegs sind.“
Die Bewohner werden 24/7 betreut, zu jeder Tages- und Nachtzeit ist ein Ansprechpartner für sie im Internat. Als Schlüssel gilt eine Festanstellung pro zehn Jugendlichen. Die pädagogische Arbeit nimmt viel Zeit ein, das Internat ist für die Jugendlichen ihr aktuelles Zuhause, quasi wie eine Ersatzfamilie. Das Sportinternat soll ein geschütztes Haus sein, aber auch mit einer sehr familiären, freundschaftlichen und offenen Atmosphäre. Mit der Entfernung zum Elternhaus gehen die Jugendlichen unterschiedlich um. „Es gab auch unter den heutigen Profis den einen oder anderen, der auf der Bettkante saß und wieder nach Hause wollte. Das ist auch völlig normal“, sagt Nico Wagner.
Dazu kommen die Besonderheiten des Sportlerlebens. „Es gibt viele Einflüsse – aus dem privaten Umfeld, dem Sport, der Schule – damit muss man in diesem Alter erst einmal umgehen können“, sagt Wagner. Dabei ist es wichtig auch die Persönlichkeit der Bewohner auszubilden: „Wir haben vor allem auch für die 97 Prozent eine große Verantwortung, die später nicht im Spitzensport landen, sondern ein ‚normales‘ Leben führen.“ Um dem Anspruch der Persönlichkeitsbildung nachzukommen, ist beispielsweise jeder Internatsbewohner verpflichtet, mindestens 20 Stunden im Jahr an einem Sozial- oder Kreativprojekt teilzunehmen. Hier arbeitet das Sportinternat eng mit der FC-Stiftung zusammen.
14:00 Uhr
Für Smilla Bienert steht am Nachmittag Nachhilfeunterricht an. „In der Schule muss ich mich noch verbessern“, sagt sie. Auch deshalb bietet ihr das Sportinternat gute Möglichkeiten, um Schule und Fußball noch besser zu verbinden. Sie schätzt auch das Zusammenleben im Internat. „Es ist richtig cool, mit so vielen Sportlern zusammenzuleben“, sagt sie und hat in einer U19-Spielerin, ebenfalls vom FC, bereits eine gute Freundin gefunden, mit der sie viel zusammen unternimmt.
Allgemein ist es ein gutes Miteinander unter den Sportlern im Sportinternat. „Es ist hier ein sehr guter Umgang miteinander“, sagt Hamed Cherif. „Alle verstehen sich, lachen und haben Spaß zusammen. Aber jedem ist auch bewusst, dass wir hier sind, um unsere Ziele zu verfolgen.“ Auch der Austausch mit anderen Sportarten ist für ihn spannend: „Bei den Judoka sehe ich zum Beispiel, dass sie noch öfter und härter trainieren als wir. Man muss Respekt davor haben, denn die geben auch alle 100 Prozent in ihren Sportarten.“
Der Mix aus verschiedenen Sportarten bietet einen großen Mehrwert für alle. „Es ist eine gewinnbringende Zusammensetzung, weil die Sportler untereinander viel voneinander mitnehmen können“, sagt Nico Wagner. „Es gibt Schwimmer, die teilweise um 5 Uhr morgens ins Becken gehen und Radsportler, die ein anderes Trainingspensum haben als beispielsweise die Fußballer. Darunter sind viele Idealisten, weil in den Sportarten später auch in der Spitze relativ wenig Geld verdient werden kann.“ Was sie alle vereint? „Sie sind auf jeden Fall sehr ehrgeizig und verbissen. Sie sind sehr strukturiert in ihrem Alltag und sehr fokussiert auf die Dinge, die sie wollen. Sie müssen im Vergleich zu anderen Jugendlichen auf sehr viel verzichten. Sie sind fast jeden Tag beim Training, oft das ganze Wochenende unterwegs.“ Doch gerade weil der Fokus auf dem Sport liegt, ist die Fallhöhe auch groß, nur die wenigsten werden später Profis. „Im Sport geht es oft schnell nach oben, aber auch schnell nach unten. Gerade wenn es nach unten geht, gilt es, die Jugendlichen aufzufangen“, sagt Wagner.
15:18 Uhr
Nun ist auch für Hamed Cherif der Unterricht für heute vorbei. Manchmal endet er schon um 13.05 Uhr, dann bietet das Internat noch eine Nachhilfe an. Nach der Nachhilfe hat er dann noch ein bisschen Zeit, um runterzukommen. Im Sportinternat gibt es verschiedene Möglichkeiten, um die Zeit zu verbringen. Es gibt beispielsweise einen Aufenthaltsraum, eine Tischtennisplatte oder einen Tischkicker, an dem Cherif an diesem Nachmittag mit einem Kumpel spielt. „Diese Zeit nutze ich oft einfach, um ein bisschen zu chillen, mit den anderen zu lachen – und dann geht es auch schon wieder weiter.“
Insgesamt ist der Alltag für ihn nun aber mit weniger Stress verbunden als früher. „Es ist mehr Struktur im Alltag und es ist alles ein bisschen entspannter“, sagt er. Was Cherif festgestellt hat: „Seit ich im Sportinternat bin, habe ich insgesamt mehr Energie – für die Schule, aber auch für den Fußball.“
Als Cherif von der Schule zurück zum Internat kommt, fragt ihn Lovro Nosic, einer der studentischen Mitarbeiter, wie es lief. Stolz berichtet der Nachwuchskicker von einer 1-, die er an diesem Tag in Naturwissenschaften erhalten hat. „Das ist meins“, sagt er und spielt auf sein Interesse für Autos an. Das schulische Abschneiden ist am Sportinternat wichtig. Als 50:50 beschreibt Cherif den Fokus zwischen Schule und Sport. „Es wird sehr darauf geachtet, dass wir auch in der Schule gut sind“, sagt er. Mit Erfolg: Seit er am Internat ist, hat sich sein Notendurchschnitt um 0,5 verbessert. Wenn die schulischen Leistungen nicht stimmen, müssen die Jugendlichen schon auch einmal auf Trainingseinheiten verzichten.
16:00 Uhr
Der Fahrdienst wartet. Für die Jugendspieler des 1. FC Köln gibt es einen Fahrdienst vom Sportinternat zum Training. In Kleinbussen geht es ans Geißbockheim. Dort trifft Cherif auf seine Mitspieler, bereitet sich in der Kabine auf das Training vor und dann geht es auf den Platz. Um 17.15 Uhr beginnt die Einheit. Der Verteidiger ist locker drauf, jongliert zu Beginn des Trainings mit dem Ball. Die Mannschaft macht sich warm, dann geht es in die Spielformen über. Es läuft bei ihm und seinem Team, am Wochenende zuvor haben sie mit einem 6:2 über Mainz 05 den fünften Sieg in Folge eingefahren und stehen in der Tabelle der DFB-Nachwuchsliga ganz oben.
Doch der Cherif weiß, dass viel passen muss, um es eines Tages tatsächlich zum Fußballprofi zu schaffen. „Der Weg ist noch weit, aber ich werde hart darauf hinarbeiten und weiter Gas geben, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, mir meinen Traum zu erfüllen.“ Dafür hat er am Sportinternat nun bessere Bedingungen als er sie aufgrund der Distanz zu Hause gehabt hätte. Doch auch die Familie spielt weiter eine große Rolle für ihn, immer wieder nennt er im Gespräch beispielsweise seine Schwester und seinen Cousin, die ihn eng auf seinem Weg begleiten.
20:00 Uhr
Von 6.30 Uhr bis 22 Uhr abends dauert ein Tag meist bei Smilla Bienert und die Tage sind oft voll mit Schule und Fußball. Doch sie macht es gerne, denn sie hat ein klares Ziel: „Ich möchte im Fußball nach oben kommen.“ Im Internat gibt es natürlich auch feste Regeln, an die sich die Jugendlichen halten müssen. Neben Alltäglichem wie Küchendiensten gilt dies auch beispielsweise bei den Schlafenszeiten. Diese sind nach Alter gestaffelt, so darf ein 18-Jähriger länger rausgehen als ein U14-Spieler.
Das Training von Hamed Cherif dauert bis circa 19 Uhr, dann geht es ab unter die Dusche und gegen 20 Uhr ist Cherif wieder am Sportinternat. „Dann esse ich noch schnell etwas und dann gehe ich auch schon schlafen“, sagt er. Schließlich klingelt am nächsten Morgen um 6 Uhr bereits wieder der Wecker und die Routinen beginnen von vorne.
Diese Reportage ist zunächst im GeißbockEcho (Ausgabe 2, Saison 2024/25) erschienen. Weitere Hintergrundgeschichten rund um den FC lest Ihr in der gedruckten Ausgabe und hier im geschlossenen Mitgliederbereich.