Und plötzlich ist es dunkel. Alles, was Marius Bülter bleibt, ist das Rasseln im Ball. Der FC-Stürmer spielt die Kugel zwischen seinen Beinen hin und her und bewegt sich dabei langsam nach vorne. Er setzt zum Schuss an, legt sich das Spielgerät jedoch zu weit vor. Bülter schwingt am Ball vorbei und verliert das Gleichgewicht. Er fällt hin und lacht. Marius Bülter ist blind – zumindest für diesen Augenblick.
Gemeinsam mit Teamkollege Dominique Heintz ist der 32-Jährige beim Blindenfußball zu Gast. Nach einer kurzen Einführung ziehen sich die FC-Profis erstmals die Dunkelbrillen auf. Die Brillen müssen beim Spiel getragen werden, denn sie verhindern, dass Licht eintritt und gewährleisten so einen fairen Wettbewerb. Im Wettkampf werden zudem Kopfschützer getragen, sie sind gepolstert und schützen vor Zusammenstößen. Viele Zweikämpfe gibt es heute allerdings nicht. Bülter und Heintz lernen die Basics. Zum Start sollen sie langsam auf und ab dribbeln, um ein Gefühl für die für sie neue Situation auf dem Feld zu entwickeln. Während sich Bülter mit Tippelschritten nach vorne bewegt, steht Heintz auf der anderen Seite und gibt verbale Zeichen, in welche Richtung er sich bewegen muss.

Zwei Wochen vorher. Uni Sport. Die Bedingungen sind gleich, das Tempo, das Geschick aber ganz anders. Seit Anfang dieses Jahres hat die FC-Stiftung ihr Angebot an Inklusionssport um ein eigenes Blindenfußballteam erweitert. Die Mannschaft trainiert einmal die Woche in Kooperation mit dem Uni Sport Köln in einer „Soccerbox“ unweit des Aachener Weihers. Bereits das Aufwärmen hat eine andere Dynamik als die Schnupperstunde der FC-Profis. Statt kleinen Tippelschritten wird hier gelaufen. Die Pässe werden direkt in die Füße der Mitspielerinnen und Mitspieler gespielt und das, obwohl die Geräuschkulisse hier lauter ist als beim Selbstversuch der FC-Profis. Sie können die wichtigsten Hinweise genau herausfiltern und wissen dadurch, wo zum einen sie selbst aber auch die Teamkolleginnen und Teamkollegen auf dem Feld stehen. „Es gibt natürlich einige Parallelen zum Standard-Fußball. Das Spiel hat durch die Anpassungen aber eine eigene Dynamik“, erklärt Trainer Dieter Wolf, der sich schon über zehn Jahre im Blindenfußball engagiert.
Orientierungslos
Der Ball ist kleiner und schwerer als im offiziellen FIFA-Fußball. Im Inneren sollen Rasseln dabei helfen, den Ball zu lokalisieren. Einem Anfänger hilft das nur bedingt. Ein unvorsichtiger Kontakt und die Kugel rollt davon. „Es hat schon geholfen, dass man ein grundsätzliches Gefühl für den Ball hat“, sagt Heintz. „Nur weißt du oft nicht, wo der Ball ist“, schiebt Bülter schmunzelnd hinterher. „Wenn der Ball einmal vom Fuß ist, ist er futsch“, erklärt der Stürmer. Kurz zuvor war er noch vergeblich über das Feld geirrt und hatte mit einem Bein nach dem verlorenen Ball gestochert.

„Voy“ – mit diesem internationalen Ausruf orientieren und warnen sich die Spielenden auf dem Platz. Das spanische Wort für „ich komme“ muss von der verteidigenden Mannschaft gerufen werden, wenn sie sich dem Gegner nähert. Die FC-Profis stehen derweil vor anderen Problemen. Sie versuchen sich auf dem Feld zu orientieren und gleichzeitig zu lokalisieren, wo sie den Ball als nächstes hinspielen müssen. „Du konzentrierst dich so auf das Rasseln im Ball, dass du nicht mehr darauf achtest, wo du stehst oder hinläufst“, erzählt Heintz. „Ich weiß nicht mehr, wo das Tor oder mein Mitspieler stehen. Wenn dann noch ein Gegner dazukommt, bin ich völlig chancenlos.“
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Premiere
Gegnerscheu ist im Training der FC-Blindenfußballerinnen und -fußballer nicht zu erkennen. Die Zweikämpfe werden hart geführt. Im Zwei-gegen-Zwei wird die angreifende Mannschaft gleich mehrmals gegen die Bande gedrückt. Der Umgang miteinander bleibt trotzdem immer fair. Es wird aufeinander Acht gegeben und sich nach einem überharten Einsteigen sofort entschuldigt. Das Spiel ist schnell, es geht hin und her. Neben den Angreifern und Verteidigern, die sich im Sekundentakt darüber informieren, wo sie hinlaufen, steht eine weitere Person hinter dem Tor und gibt verbale Hinweise, in welche Richtung geschossen werden muss. Schon als Sehender am Rand ist es schwer, den Überblick zu behalten. Dass die Akteure auf dem Feld dabei ein Kombinationsspiel mit gefährlichen Torabschlüssen aufziehen, ist umso beeindruckender.

Zum Abschluss der Einheit werden nochmal Torschüsse trainiert. „Darauf lag heute definitiv der Fokus. Unsere Chancenverwertung ließ zuletzt zu wünschen übrig“, sagt Wolf. Im August richtete die FC-Stiftung das erste Blindenfußballturnier am Geißbockheim aus. Neben dem FC nahmen auch der FC Schalke 04, die niederländische Nationalmannschaft und die deutsche Frauen-Nationalmannschaft am Turnier teil. Rund 250 Zuschauende sorgten für eine tolle Kulisse und bekamen einige hochklassige Partien zu sehen. Am Ende jubelte Schalke über den Turniersieg. Der FC landete auf dem vierten Platz, schlug sich gegen die drei etablierten Mannschaften allerdings beachtlich.
Für das FC-Team steht der sportliche Aspekt im ersten Jahr noch im Hintergrund. Zunächst geht es vor allem darum den Blindenfußball in Köln weiter strukturell aufzubauen und nachhaltig zu entwickeln. Das gesamte Team umfasst zurzeit 17 Teilnehmende zwischen zehn und 60 Jahren. Hier spielen blinde, sehbehinderte, aber auch sehende Spielerinnen und Spieler gemeinsam in einem Team. Betreut und trainiert wird das Team von drei Trainern. Die Trainingseinheiten finden jeden Dienstagabend und regelmäßig auch am Wochenende statt. Aktuell werden die Turniere genutzt, um selbst auch in den Wettkampf zu kommen und sich zudem mit anderen Mannschaften zu vernetzen.

Perspektivisch will man allerdings an der Blindenfußball-Bundesliga teilnehmen, die aktuell neun Clubs umfasst. Auch Heintz hat schon eine Bundesliga-Partie verfolgt: „Ich habe größten Respekt davor, mit welchem Tempo dort gespielt wird. Das war wirklich beeindruckend.“ Damit er und Teamkollege Bülter auch im Blindenfußball auf Bundesliga-Niveau performen könnten, bräuchte es jedoch noch viele weitere Trainingsstunden. Ungeachtet dessen war der Ausflug in die Welt des Blindenfußballs für beide lehrreich und eindrucksvoll. „Es war eine tolle Erfahrung und hat viel Spaß gemacht“, sagt Bülter und führt abschließend aus: „Die Stunde hat mich auf jeden Fall nochmal sensibilisiert, wie wichtig solche Angebote sind.“